Briefwechsel Johann Leonhard Rost


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Rost, Johann Leonhard (1688-1727)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 28. März 1719
Signatur UB Basel: L Ia 720, Bl. 51r-52r
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler und Hochgelahrter
  Hochgeehrtester Herr und
   Hochgeschätzter Gönner

Dieweil auf dero beyde vom 4 Jan. und 4 Martii an mich ergangene Schreiben, wegen überhäufter Verrichtungen, noch nicht vollständig antworten kan: so habe ad interim, nur dieses Blätchen überschicken wollen, damit es nicht scheinen möchte, als ob ich meine Schuldigkeit, gantz an den Nagel gehänget. Ich dancke darinnen zum vördersten, vor Ew. HochEdl. höchst angenehme communicata; wodurch Sie mich abermal überzeuget, daß Sie meine Lust zur Astronomie nicht nur mehr anzuflammen: sondern mich auch immer beßer in dieser schönen Wissenschaft zu instruieren begehren, wofür ich Lebens Lang ein beständiger Schuldner bleiben: und Ihnen alle ersinnliche Erkäntlichkeit, dafür widmen will. Was Ew. HochEdl. mir in puncto der gelehrten Zeitungen geschrieben, solches hat allerhand Muthmaßungen bey mir erwecket, und kan ich nicht begreiffen, wo der bewuste Astronomus u: Observator hingedacht,[1] als er so in den Tag hinein geredet, und sich dadurch den Verdacht eines Ignoranten, oder eines passionierten Neid Hammels zu geeignet. Der gute Herr verstößet sich gewaltig, wenn er meinet, daß man die observationes nicht in den novis literariis publiciren soll. Die Publicatio et Communicatio observationem, schafet ja den grösten Nutzen: und wir Teutsche erlangen durch diese Zeitungen, ohne unsere Kosten den Vortheil, daß wir den Ausländern zeigen können, daß wir den Himmel auch anschauen, und nicht wie das Vieh in den Tag hinein leben. Aber genug hievon biß auf ein andermal. Unterdeßen ist es mir leid, daß so wol Ew. HochEdl. als meine gute Intention dadurch unterbrochen worden. Die Distantias Micrometri betreffend:[2] so bin ich so eigensinnig nicht, daß ich mich nicht eines beßeren solte informieren laßen: und begehre dahero Ihren Beweis, von der Richtigkeit solcher distantien nicht umzustoßen, weil ich meine dubia ohne dem mehr ex Theoria als Praxi proponire und habe ich sie eben deßwegen, Ew. HochEdl. aufzulösen vorgeleget weil Sie mir ex Praxi antworten können. Daß so wol mir als meinem Bruder, die distantiae Plejadum, niemal mit den Hevelianischen correspondiret, ist gewis: und ebenso ist es mir auch mit denen zwoyen nahen Sternen im ♑[3] ergangen. Inzwischen haben gleichwol Ew. HochEdl.

[Bl. 51v]
zu melden vergeßen, wie Sie den valorem partium Ihres 7 Schuichen Micrometri determiniret, als welches einer der Haupt Puncten, vor nach ich mein Urtheil einrichten mus. Daß Hevelius nur Mensch gewesen der irren können, das braucht keinen Beweis: ob aber die frantzösischen Astronomi nicht auch was menschliches begangen haben, das kan man Ihnen zur Noth aus vielen Dingen erweisen. Wenn Dero observationes distantianem auch in andern Gestirnen, so wol correspondiren wie in den Plejadibus: so muß ich bekennen, daß meine opinion wegen der Refraction, dadurch meistens gehoben wird. Ich möcht doch wol wißen ob man nicht beßer oder deutlicher hinter die Sache komme wenn man dem Tubo ein ocular applicirte, das auf der einen Seiten plan, auf der andern convex ist? Wenn man die damit gemeßene distantien, mit den distantien eines oculars collectionirte, das auf beyden Seiten convex, möchte sichs vielleicht zeigen, ob man weiter dubitiren dürfte. Sonsten kan ich nicht umhin Ew. HochEdl Judicium, über meine neue manier von dem Gebrauch des Micrometri einzuhohlen; vermög welcher man den valorem partium etiam minutissimanem erfahren kan, ohne daß man die Schrauben, oder vielmehr die Revolutiones zehlen darf, und wodurch die Schrauben ein und auswerts auf das geschwindeste zu bewegen seyen, ohne daß der Tubus dadurch bewegt u: verrücket würde. Ich laße nehmlich des Seel. Hl. Vaters invertirtes Micrometron, wie es ist, außer daß ich in die eine oder beyde Schrauben, in der Mitte, wo man sie anfäßt, ein kleines Löchelchen hinein mache, um einen etwan fingers langen Drat hinein zu stecken oder zu schrauben. Wenn ich als denn einen Finger an diesen Drat lege: so kan ich dadurch die Schraube sehr leicht und geschwinde ohne Bewegung des Tubi hinein u. heraus rücken. Wenn ich solcher gestalt eine distantiam 2 *e gemeßen, deren arcus bekand so nehme ich mit einem Cirkel, deßen spitze etwas auswärts gebogen, die Weite von dem Ende der beyden Schrauben, außer dem Tubo, u. trage sie auf einen beliebigen Maasstab, um zu erfahren, wie viel partes deßelben mit der distantia cognita *arum correspondiren. Hieraus ist als dann leicht eine Tabell zu construiren, wie viel ein oder mehrere partes der Scala, grad, minuten, secunden betragen. Wenn ich als dann andere distantias gemeßen, und die Weite der Schrauben mit dem Cirkel genommen, selbige dann auf die Scala geheftet

[Bl. 52r]
und ihren Valorem in der construirten Tabell gesuchet, so habe ich, was ich begehret, ohne daß man die revolutiones zehlen dürfen. Giebt es viele Distantien hinter einander zu meßen, darf man um die Cirkel Weite der Schrauben, auf ein mit Linien besetztes Papyr bezeichnen, und sie bey gelegener Zeit: nach der Observation auf die Scalam bringen: so wird sich der valor mit commodite finden laßen. So einfältig und leicht als diese Methode, so wundert mich doch warum bißhero noch niemand darauf gekommen, und dadurch den nützlichen Gebrauch dieses compendiösen Instruments erleichtert. Hier möcht habe Ew. HochEdl ersuchen wollen, ob Sie mir nicht ihre Methode mit einem Exempel, bey gegebener Zeit communiciren mögen, wie Sie das Tempus retrogradionis et stationis planetarum, ex observationibus zu deduciren pflegen. Ich möchte solches gern, dem Supplemento meines Astronomischen Handbuches einverleiben.[4] Wollen Ew. HochEdl sonst noch was zu dieser Arbeit communiciren: will ich es mit schuldigstem Danck erkennen, und bey allen Gelegenheiten meine Erkenntlichkeit dafür zu bezeugen, geflißen seyn. Hl. M. Gauppen[5] habe dero Compliment überschrieben, und sind Sie mir vor die Überschickung seines Calendarii keine obligation schuldig, weil es auf deßen orde getahn habe. Der Herr von Wurzelbau, läßet sich wiederum dienstl. empfehlen, und scheinet es nunmehr, ein Ernst bey Ihm zu werden, daß Er seine Tabb. Solares[6] herausgibet, weil die Dedication und Vorrede nunmehr auch darzu gelesen, und von Ihm mir aufgetragen worden, daß ihm zur direction der publication behülflich seyn solle. Ich mus dieses mahl wegen Mangel der Zeit schließen, und das übrige auf ein ander mahl verspahren. Der ich mich inmittels zu Ew. HochEdl. beharrlichen Affection bestens recommendire, und mich lebens lang nenne

Ew. HochEdl.

P.S. die ☉Finsterniß[7] u: das
Aequinoctium war hier nicht
zu observiren.

verbundenster u: ganzt
ergebenster diener  

  Nürnberg.
den 28 Martii. 1719.

Joh. Leonhard Rost.


Fußnoten

  1. Es ist nicht bekannt, wer hier gemeint ist. Denkbar ist, dass es innerhalb der Preußischen Akademie Bestrebungen gab, Ergebnisse primär in deren Publikationen zu veröffentlichen, doch ist dies Spekulation.
  2. Im Brief vom 24. Dezember 1718 hatte Rost argumentiert, dass es bei Verwendung eines Mikrometers zu Verzerrungen bei Abstandsmessungen kommt. Siehe dazu auch seinen späteren Artikel: Von den kleinen Distantiis der Fix-Sterne, die man durch die mit Micrometris versehene Tubos zu messen pfleget. Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten (=Breslauische Sammlungen), Versuch 27, S. 166-176
  3. Die Sterne γ und δ im Steinbock.
  4. Als Supplementband kam 1727 bei Peter Conrad Monath Der aufrichtige Astronomus heraus.
  5. Johannes Gaupp (1667-1738) war Pfarrer in Lindau, der aber vor allem als Astronom bekannt wurde. Er war einer der wichtigsten Briefpartner von Rost.
  6. Wurzelbau, Johann Philipp von: Uranies Noricae basis astronomica. Nürnberg: Selbstverlag 1719.
  7. Am 19. Februar 1719 gab es eine partielle Sonnenfinsternis. Siehe hierzu Rost Bericht in der Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten (=Breslauische Sammlungen), Versuch 7, S. 313f.