Briefwechsel Johann Leonhard Rost


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Rost, Johann Leonhard (1688-1727)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 29. April 1718
Signatur UB Basel: L Ia 720, Bl. 41r-v
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler und Hochgelahrter
  Hochgeehrtester Herr

Ew. HochEdl. unterlaßene Beantwortung meiner zwei letzten Briefe,[1] giebt mir genugsam zu erkennen, daß Sie sehr occupiret seyn: und ist mir nur leid, daß Sie zur unrechten Zeit, an Sie ausgefertiget! Noch mehr aber beklage ich, daß nicht so glücklich gewesen, mich in meinem Ansuchen befriediget zu sehen. Wiewol es auch seyn kan, daß Sie mir noch mit der Instructione in puncto macularum ☉arium et observationum transitus ☽ a fixis,[2] gütigst an die Hand gehen; in maßen ich bei den letztern, sonderlich dubitire, wie die linea * richtig zu finden, denn es ist fast unmöglich, daß es eine linea recta seyn kan, wenn gleich die distantiae * cum duabus maculis in linea recta,[3] noch so accurat, gemeßen worden. Dahero ich glaube, daß ein besonderer Vortheil zur Aufreißung dieser linie, und zur Auftragung der distantien erfordert werde. Möchten Sie mir die observation eines solchen transitus communiciren daß ich sie Exempli loco meinem Astronomischen Tractat[4] einverleiben könte: so gestehe, daß Sie mich ungemein obligirten, wenn es bald geschehe ehe es gar aus der Preße kömmt. Bey der materie de Occultationibus, habe dero im vorigen Jahr gehaltene observat. occult. Palilicii zum Exempel fürgestellet,[5] und dabey gewiesen, wie die longitudo et latitudo visa ☽ae daraus zu berechnen. Ich übersende hier die observation eines Nord Scheines, welche mein Bruder in Böhmen gehalten: und füge zugleich eine andere bey, wie er sie seinem letzten Briefe, folgendermaßen einverleibet:[6]

"Ich hätte bald gar vergeßen, noch zu melden, daß nebst dem neulichen Nord-Schein vom 21 Febr. noch zum zweyten mal, nehmlich den 22 Martii, sich ein dergleichen, jedoch vom vorigen, noch etwas unterschiedenes Phaenomenon gezeiget. Es erschiene nehmlich, Nachts nach 9 Uhr, bey temperirter Luft, und theils mit Heiterkeit, theils mit Wolcken melirter Himmel; in der Nord Gegend, eine ziemlich behende anwachsende weis rothe Helle, in einer pyramidal Figur, deren basis dem Augenmaas nach, in der Breite etwan 4 Klafter, und die Höhe bis zur Spitze, vom Horizont auf 6 Klafter ausmachte. Es waren weiter keine Schweife noch Strahlen zu mercken, als nur eine fluctuation gegen die Spitze, eben als wenn eine Feuers-Brunst in der ferne

[Bl. 41v]
manchmal mehr lichter Lohe überhand, manchmal wieder abnimmt; daß denen in der Weite auch der Schnee in der Luft, bald stärcker, bald schwächer in das Gesichte fällt. Es wiese sich einmal, als ob es gäntzlich wieder unter den Horizont weichen wolte, allein es verneuerte sich plötzlich, und nachdem dieses etwan eine halbe viertel Stunde gewähret, ward es anstatt der Pyramidal Figur, oben und unten breit, und vertheilte sich bald darauf in 2 Theile, davon ging ein Streif nach Osten, der andere nach Westen, nicht mehr so roth weis, sondern weis hell, und verschwand kurtz darauf alles, so daß es nicht über eine Viertel Stunde gedauert."

Dieweil ich außerdem vor dieses mal an Ew. HochEdl. weiter nichts zu schreiben: als mag das blat, weder mit unnöthigen Dingen ausfüllen; noch Ihren zumuthen, daß Sie die Zeit mit deren Durchlesung, verderben sollen. Ich sage nur noch daß der Hl P. Müller in Altdorf, die neuliche Eclipsin ☉is auch observiret, und das Ende um 8.H 7.' 15'' ex Altitud. et Azim. ☉is deduciret.[7] Recommandire mich übrigens zu dero beständigen Wolwollen, und bin unter Anwünschung, stets gesegneter Prosperitaet

Ew. HochEdl.

  Nürnberg.
d 29 April A.o 1718.

gehorsamster ergebenster
diener.  

Joh. Leonhard Rost.

[Bl. 42r]

Phaenomenon Coeli Boreale[8]
Ao. 1718. d. 21 Februar. noctu
observatum
Reichstadii[9] in Bohemia
a
Joanne. Carolo Rostio
Medicinae Doctore. Sereniss. Magnae-Principessae Hetrur. Medico[10] et
Illustr. Reipubl. Noribergens. Physico ordinario


Dum in Calendario Astronomico Noribergae ad annum currentem edito (: dem Astronomischen Himmels-Bothen:)[11] Celeberrimi Dn. Kirchii Phoenomeni istius, Nord-Schein dicti, speciem perpendo, quae anno praeterito Berolini comparuit et a laudato Viro dicto loco verbis seqq. descripta legitur: den 2 Februarii (: fuit dies alterum Lunae quadrantem proxime praecedens:) abends nach 6 Uhr kam es mir im Norden ungewöhnlich helle für, weswegen ich mich dann, auf das Königl. observatorium begab, da sich aber keine sonderliche Bewegungen oder Veränderungen mercken ließen ohne da&szli; es sich bogenweis formirte, und nach einer Stunde, nach und nach verdunckelte; non possum quin referam, me hoc anno d. 21 Febr, die, pariter ante ultimum ☽ae quadraturam proximae, huic recensitae fortasse satis conformem indolem, nempe, insolitum splendorem ex albido corruscantem, hora noctis decima, sereno undique coelo, circa Septentrionem, non sine admiratione, deprehendisse. Horizon montibus valde inaequalis a Sede Sereniss. Principissae, Dominae meae Gratiosissimae ictum tormenti vix distat. Phaenomenon autem illud, a plaga Nord-Nord-Ost incipiendo, in Nord-Nord-West vel vice versa terminavit, maxima sua in altum extensione Lyram, tum temporis ibi debilius radiantem, fere attingens; luce ubique concolore, sine fulguratione, fluctuatione aut alium quavis motitatione; nisi quod mihi luce haec peregrinae, quandoque aequaliter non nihil intendi, post iterum minui visa fuerit. Duravit ita ad horam 11 et quod excurrit, sensim deinde evanescens. Bene recordor me inter hor. 9. et 10 nondum aliquid ejusmodi apparationis advertisse.


Deutsche Version von Bl. 42r

Erscheinung am Nördlichen Himmel
am 21. Februar 1718, nachts
beobachtet
in Reichstadt in Böhmen
von
Johann Carl Rost
Doktor der Medizin. Leibarzt Ihrer Königl. Hoheit von Etrurien und
Physikus in der berühmten Reichsstadt Nürnberg


Indem im Nürnberger Astronomischen Kalender, der für das laufende Jahr herausgeben wurde (:der Astronomische Himmels-Bothe:) von dem berühmten Herrn Kirch dieses Phaenomen, das Nordschein genannt wird, besonders berücksichtigt wurde, welches vergangenes Jahr in Berlin erschienen ist, und von belobtem Herrn an besagtem Ort mit den folgenden Worten beschrieben wurde: den 2. Februar (: es geschah an dem Tag, der dem Halbmond unmittelbar vorherging:) abends nach 6 Uhr kam es mir im Norden ungewöhnlich helle für, weswegen ich mich dann, auf das Königl. Observatorium begab, da sich aber keine sonderliche Bewegungen oder Veränderungen mercken ließen ohne daß es sich bogenweis formirte, und nach einer Stunde, nach und nach verdunckelte; Ich kann nicht sagen, ob am 21. Februar, ebenso nach Halbmond, dieses zitierte in etwa den gleichen Charakter hatte, denn gegen zehn Uhr sah ich, nicht ohne Verwunderung, dass der von allen Seiten heiteren Himmel, gegen Norden von einem ungewöhnlichen Glanz aus hellen Blitzen ergriffen wurde. Die sehr unebenen Berge am Horizont waren vom Wohnsitz der Königl. Hoheit, meiner gnädigsten Herrin, nur einen Steinwurf entfernt. Jenes Phänomen aber, das in Richtung Nord-Nord-Ost begann, und in Richtung Nord-Nord-West endete, oder umgekehrt, hatte seine größte Ausdehnung bei der Leier, die sie fast berührte, wobei es zu diesem Zeitpunkt weniger hell leuchtete; das Licht war überall gleichfarbig, ohne Blitzen oder Schwankungen oder andere wie auch immer beschaffenen Bewegungen; wenn nicht diese fremde Licht, dergleichen ich noch nicht gesehen habe, später weniger sichtbar war. Es hat bis 11 Uhr und etwas darüber hinaus gedauert, dann ist es langsam verschwunden. Gut erinnere ich mich zwischen der 9. und 10. Stunde nichts von einer ähnlichen Erscheinung bemerkt zu haben.


Fußnoten

  1. Siehe die Briefe vom 26. Januar und vom 19. März 1718.
  2. Anleitung zur Beobachtung von Sonnenflecken und nahen Vorbeigägen des Mondes vor einem Fixstern.
  3. wenngleich die Abstände des Stern von zwei Flecken auf dem Mond in einer geraden Linie gemessen wurden.
  4. Rosts Handbuch kam 1718 bei Peter Conrad Monath in Nürnberg heraus.
  5. Kirchs Beobachtung der Bedeckung von Aldebaran (=Palilicius) vom 25. September 1717 fügte Rost in sein Astronomisches Handbuch, S. 441ein.
  6. Vgl. den Bericht darüber in den Nova litteraria ad Supplementum Acta Eruditorum, 1718, S. 115f.
  7. Die Beobachtungen Müllers zur Sonnenfinsternis vom 2. März 1718 sind abgedruckt in den Nova litteraria in Supplementum Acta Eruditorum, 1718. S. 80.
  8. Diese Beobachtung ist abgedruckt in den Nova litteraria ad Supplementum Acta Eruditorum, 1718, S. 114f.
  9. Reichstadt in Böhmen ist das heutige Zákupy im Norden der tschechischen Republik, etwas südöstlich von Zittau gelegen.
  10. Rost war Leibarzt der Großherzogin Anna Maria Franziska von Toscana (1672-1741), die auf dem Schloss in Reichstadt residierte. Mit "Hetrur." ist Etrurien gemeint, eine antike Landschaft in Mittelitalien, die u.a. die Toskana umfasst. Die Übersetzung unten ist keine wörtliche, sondern orientiert sich an der in den Breslauischen Sammlungen üblichen Anrede von Rost.
  11. Gottfried Kirch brachte ab 1677 unter dem Namen Georg Fabricius den Warhafftigen Himmels=Bothen oder Astronomischen Wahrsager heraus. Nach seinem Tod führte der Sohn die Reihe fort. Ab 1743 wurden sie dann von Michael Adelbulner (1702-1779) herausgegeben. Vgl: Herbst, Klaus-Dieter: Kommentiertes Verzeichnis der Schreibkalender für 1701 bis 1750 im Stadtarchiv Altenburg (= Acta Calendariographica - Forschungsberichte, Band 3). Jena: HKD 2011, S. 17f. sowie dessen den Eintrag zu Fabricius im Biobibliographischen Handbuch der Kalendermacher von 1550 bis 1750. .