Briefwechsel Johann Leonhard Rost


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Rost, Johann Leonhard (1688-1727)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 20. April 1722
Signatur UB Basel: L Ia 720, Bl. 77r-79v
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler und Hochgelahrter,
  Hochgeehrtester Herr,
   Hochgeschätzter Gönner.

Ich solte fast anfangen, um Sie bekümmert zu leben, weil ich schon so lange die Ehre nicht gehabt, einige Zeilen von Ihnen zu entsiegeln.[1] Zwar wenn Ew. HochEdl. steten Fleiß und viele Labores erwege, so darf über Dero Stillschweigen, mich gar nicht verwundern. Indeßen sehne ich mich gleichwol sehr, einige Nachricht von Dero Wolseyn zu erhalten: die ich auch diese Meße ohnfehlbar zu sehen verhoffe. Meines Ortes, lebe ich noch wie vorhin, und suche mein einiges Vergnügen in der Astronomie und andern mathematischen Wissenschaften; darüber ich auch ob Gott will, mein Leben zubringen werde. Dieweil um das Ende des vorigen Jahres ein hiesiger Kunst=Händler[2] von mir begehret, daß ich ihm Institutiones Astronomicas, zum Dienste

[Bl. 77v]
der Anfänger, verfertigen solte, so habe ich mich unter Gottes Beystand darüber gemacht, und die Arbeit biß auf einige Figuren bereits glücklich beschloßen. Sie wird unfehlbar künftige Herbst=Meße, unter dem Titel: Anfangsgründe zur wahren Astronomie, ohngefehr 1 Alphabet starck, in groß Octav mti 40 Kupfern zum Vorschein kommen;[3] da denn nicht ermangeln werde, Ew. HochEdl. ohnverzüglich mit einem Exemplar aufzuwarten, um Dero aufrichtige und unpartheyische Beurtheilung, mir darüber auszubitten. Weil es heut zu Tage fast durchgehends Mode ist, daß ein Auctor sein Buch jemand dediciret, so dürfte ich es hier wagen, dem meinigen, die Namen der Mitglieder von der Classe mathematica der Hochlöbl. Preußischen Societaet, vor zusetzen, um dadurch das Vergnügen zu erhalten, daß darunter auch Ew. HochEdl. meine Hochachtung und Ergebenheit, öfentlich bezeugen könte. Gleichwie aber dieselbige mir vielleicht am besten zu vertrauen wißen, ob mein Unterfangen auch wol aufgenommen würde, oder ob ich nicht einen fehler begehe, wenn ich mir den Verdacht zu ziehe, als ob ich nur einer Classin der Societaet, vor denen übrigen respectiren wolte: also geschehe mir ein ungemeiner Gefallen, wenn Ew. HochEdl. dero Gedancken mir ohnbeschwert

[Bl. 78r]
darüber zu eröfnen, gütigst geruhen möchten. Irre ich mich in dem Wahn wegen des letzteren nicht, so bin ich begierig zu vernehmen, ob es nicht anging, wenn nach Ew. HochEdl. Beyspiel in dem Transitu Mercurii per Solem, dem Herrn Praesidem, Vice-Praesidem u: die Herren Directores der Societaet, zur Dedication erwählete;[4] in welchem Fall, so Sie es für gut befinden, ich deren teutsche Titulatur mir inständigst ausbitte.

Von Astronomicis, weis Ew. HochEdl. ich vor dißmal nichts zu überschicken. Denn zur Observaton der ersten Mondfinsterniß,[5] war der Himmel gantz trübe, und sonst ist nichts notabels am Himmel vorgefallen. Die Nord Scheine her entgegen, ließen sich desto öfter vermercken; wie ich denn d. 11. 12. 13. 15 Januarii,[6] deßgleichen 9 und 16 Martii, etwas, aber alle Zeit bey wolckigtem Himmel, davon wargenommen. Den d. 9 Martii Nachts nach 9 Uhr,[7] da es vorher öfter aus Norden starck geblitzet, war der notabelste, und die weis gelblichte Helligkeit des Himmels, die biß über die Cassiopeiam sich erstrecket, leuchtete ebenso starck, wie A.o 1721 d. 1 Martii. Gegen 11 Uhr, da der Himmel meist heiter wurde, ließ sie sich kaum mehr verspüren: und muthmaße ich, woferner solches Zeitlicher geschehen wäre, daß sich ein merckwürdiges Phaenomenon hätte observiren laßen.

[Bl. 78v]
Vorige Woche, hat der Herr Prof. Wagner auch einmal an mich geschrieben, und vermercke ich aus Seinen Zeilen, daß es ihm nicht allerdinges nach Wunsch ergehen müße, ob Er gleich solches nicht ausdrücklich gegen mich erwehnet hat. Gott gebe, daß Ew. HochEdl. sich allezeit um so viel vergnügter befinden mögen, und daß die durch den Herrn Collega Discipulo zugewachsene Verdrüßlichkeiten,[8] auf eine desto erwünschtere Beruhigung, hinauslauffen. Wollen Ew. HochEdl. hiernächst Dero versprochene Informationen, zur Berechnung des ortus et occasus Planetarum[9] und der Zeit ihrer Sichtbarkeit, bey Gelegenheit eingedenck verbleiben, so will die Bemühung mit möglichster Erkenntlichkeit zu erwiedern ohnabläßig bedacht seyn, und mich um so viel nachdrücklicher nennen

Ew. HochEdlen

Nürnberg
d. 20 April. 1722.

verbundenster und gantz er=
gebenster diener  

Johann Leonhard Rost.

[Bl. 79r]

P. S.[10]

Da ich meinen Brief zu siegeln gedacht, fiel mir ein casus bey, den von Ew. HochEdl. ich gerne decidirt wißen möchte. Ich bin neulicher Zeit ohngefehr über die Rudolphinischen Tabellen gerathen, und habe nach den praeceptis pag. 95 seq. exercitii gratia, einige Novilunia und Plenilunia berechnet,[11] welches mir hernach Anlas gegeben, den terminum paschalem[12] vor einige folgende Jahre zu suchen, um ihn mit dem calculo Cyclico Stili Gregoriani zu conferiren. Da fand ich denn etwas, welches ich zu entscheiden, mich nicht fähig zu seyn erachte. Es fällt nehmlich nach dem Stilo reformato, das Plenilunium Paschale A.o 1724 d. 8 April. h. 4. 34'. p.m. an einem Sonnabend, folglichen ist der 9 April der Oster Tag: der Stilus Gregorianus hingegen giebt ihn den 16 April, gleichwie ich ihn auch hernach bey dem Clavio[13] und Manfredi[14] gefunden. Da ich nun der Gewißheit meiner Rechnung versichert bin, so fragt sichs itzt, ob ein Privatus befugt ist, vor sich dieser Differenz einen freyen Lauff zu laßen? oder ob man sich nicht an höhern Orten befragen müsse, wie man sich darinnen bey Ausfertigung der Calender vor selbiges Jahr, verhalten müße? Mich ficht zwar dieser Scrupel wenig an, weil ich solcher Arbeit nicht unterworfen bin: ich bin aber doch gleichwol so curiös, daß ich verständiger Leute gutachten darüber vernehmen möchte. Sie werden mich also sehr obligiren, wenn Sie mir das Ihrige überschreiben mögen, wofür ich in andern Angelegenheiten hinwiederum zu dienen, nicht ermangeln will.

[Bl. 79v]
Übrigens diene auch zur Nachricht, daß Pounds Tab. 1 Satel. Jovis, in dem Supplemento Semestris II ad nov. litterar. anni praeteriti, anzutreffen seyn.[15] Adieu.


Fußnoten

  1. Kirchs letzter Brief stammt vom 15. Oktober 1721, vgl. Rosts Brief vom 20. Dezember 1721.
  2. Johann Christoph Weigel (1661-1726).
  3. Rost, Johann Lenhard: Atlas Portatilis Coelestis. Oder Compendiöse Vorstellung des gantzen Welt-Gebäudes, in den Anfangs-Gründen der wahren Astronomie. Nürnberg: Johann Christoph Weigel 1723.
  4. Kirch, Christfried: Transitus Mercurii Per Solem, Ad Anni proximi M D CC XX. Diem 8. Maji, Ex variis recentioribus Tabulis supputatus, & necessaria Commentatione illustratus Accessere Conjunctionum Lunae cum Venere, Palilicio & Regulo notabiliorum, per eundem Annum observandarum, Praedictiones, juxta Tabulas Cel. Philippi de la Hire. Berlin: Papenius 1719.
    Die Widmung lautet: Illustrissimo, maxime reverendo et excellentissimis, Societatis Regiae Scientiarum Berolinensis inclutissimae Praesidi, Vice-Praesidi et Directoribus, Patronis summe suspicendis, hanc de Transitu Mercurii per Solem, Praedictionem, cum perennantis felicitatis voto in animi sui devintissimi Testimonium. D. Auctor
  5. In der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1722 gab es eine totale Mondfinsternis.
  6. Vgl. Rosts kurzen Beitrag dazu in der Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten. 19. Versuch für das Winter-Quartal 1722, erschienen 1723, S. 49.
  7. Vgl. hierzu die Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten. 19. Versuch für das Winter-Quartal 1722, erschienen 1723, S. 269f..
  8. Vgl. zu den "Verdrüßlichkeiten" Rosts Brief vom 17. Oktober 1720.
  9. ortus et occasus Planetarum: Auf- und Untergang der Planeten.
  10. Mit diesem PS setzte Rost die Debatte um den Termin des Osterfestes von 1724 in Gang. Hintergrund ist die Kalenderreform von 1700, die von den Evangelischen durchgeführt wurde. Keineswegs hat man den Gregorianischen Kalender übernommen: Die Gregorianer richten ihre Berechnungen nach mittleren Zeiten, wodurch man einfache Regeln zur Bestimmung des Ostertermins erhät, doch kommt es andererseits zu gelegentlichen Abweichungen zum tatsächlichen Himmelsgeschehen. Bei der Reform von 1700 richtete man sich dagegen nach astronomischen Beobachtungen und Berechnungen. In der Folge feierten 1724 (und nochmals 1744) die Katholiken und Protestanten an verschiedenen Terminen Ostern.
  11. Kepler, Johannes: Tabulae Rudolphinae, Quibus Astronomicae Scientiae, Temporum longinquitate collapsae Restauratio continetur. Ulm: Saurius 1627, hier S. 95.
  12. terminum paschalem: Der Ostertermin.
  13. Clavius, Christoph (1538-1612): Romani Calendarii A Gregorio XIII. P.M. Restituti Explicatio. Rom: Zanettus 1693.
  14. Gemeint ist hier vermutlich: Manfredi, Eustachio: Ephemerides motuum coelestium ex anno 1715. in annum 1725. e Cassinianis tabulis ad meridianum Bononiae supputatae. Tomus 1. quo introductio in ephemerides cum opportunis tabulis exhibetur. Bologna: Michaelis 1715.
  15. Pounds Tabellen finden sich in: Nova litteraria in Supplementum Actorum Eruditorum für 1721, Suppelementum Semestris II, S. 209-220.