Briefwechsel Johann Wilhelm Wagner
| Kurzinformation zum Brief | |
| Autor | Wagner, Johann Wilhelm (1681-1745) | 
| Empfänger | Kirch, Christfried (1694-1740) | 
| Ort | Hildburghausen | 
| Datum | 24. März 1725 | 
| Signatur | UB Basel: L Ia 727, Bl. 40r-43v | 
| Transkription | Hans Gaab, Fürth | 
HochEdler, Hochgelahrter,
	  sonders Hochgeehrter HErr,
Von Ew. HochEdlen habe seither 3 Schreiben, nemlich vom 15. Nov. a. p. vom 20. Jan. u. 6. Febr. a. c. und in jedem noch einen Einschluß, als im ersten die Observation der letzten grossen ☉finsternis, in dem andern ein Schreiben an M.r Marl[1], und im 3ten die Phases Lunae, samt dem Wetter, und den Finsternissen des folgenden Jahres wohl empfangen; derohalben ich nicht allein mich verbunden, deroselben einmal wieder zu antworten, sondern auch für überschickte mir nötige u. angenehme dinge geflissenst zu dancken, mit dem erbieten, deroselben in alle Wege wieder Dienst= u. Gefälligkeiten zu erzeigen, worin ich nur tüchtig sein, und dero Verlangen oder Befehle vernehmen werde.
Mons. Marl belangend, so hat Er länger als ein Jahr unser Gymnasium frequentirt; seit dem aber im vorigen Jahr sein Hl. Vater /: Ihrer Hoheiten zu Meiningen ge-
[Bl. 40v]
	borener Marggrafin zu Brandenburg[2] Kammerdiener) 
	und einige Zeit hernach seine Frau Mutter, (beide 
	Eltern von Berlin gebürtig) gestorben, welche 
	zu Coburg gewohnet haben, so hat Er sich, weil Er 
	eines grossen Reichthums einiger Erbe ist, von 
	hier wieder weg, nach Coburg begeben, um seine
	Angelegenheiten da selbst zu besorgen. Er war 
	aber doch ebendamals hier, als ich ihme den bewusten 
	Brief zu zu stellen hatte, u. zugeschicket 
	habe; er ist bald darauf ohne mich zu sprechen 
	wieder nach Coburg gereist, und hat einige Zeit 
	hernach mir ein Paquet Briefe, unter Ew HochEdl 
	Couvert, zugesandt, um es zu befördern, ich 
	habe aber nur die addresse darauf geschrieben, 
	und das Paquet, des Mons. Marls Vormund 
	dem reformierten Prediger Hn. Schneidern[3] 
	alhier, es selbst mit der Post fortzusenden, 
	gewisser Ursach wegen, übergeben, welches dann 
	wohl vor 8. oder 14. tagen bei Ihnen eingelaufen 
	sein wird.
Daß durch Collation unser beider Observation der ☉Finsternis[4] die Differentia Merid. zu groß heraus kommt, und sie dafür halten, ich hätte statt der Subtraction von 3 Min. vielleicht addiren sollen; so melde zu dero Nachricht, daß ich wohl nicht
[Bl. 41r]
	glaube das Contrarium oder einen irthum begangen 
	zu haben; sondern anders nicht weiß als daß die
	Taschen Uhr, so ich bei der Observation gebraucht 
	habe, um 3. Minuten gegen der Sonnen zu geschwinde 
	gegangen sei, wie ich den folgenden Tag erst darauf befunden; 
	denn daß ich die Uhr nicht vom Mittag vorher
	richten oder stellen können, u. sie nur a posteriori examiniren 
	müssen, hat sein Ursache, die weitläfig
	hier anzuführen eben nichts hilft. Mag also wohl sein, 
	daß in meinen temporibus oder momentis nicht 
	diejenige praecision ist, die bei einer sehr accuraten 
	observation sonst sein muß, zumal auch die vielen 
	u. zum Theil sehr vornehmen Spectatores mich gleichfals 
	gar viel gehindert, auch selbst die Observation mehr
	der Spectatorum Sereniss. als mein, des Observatoris, 
	oder meiner Absichten wegen, geschehen, und ich 
	daher zufrieden sein muß daß sie nicht schlechter 
	gerathen, und doch nicht gantz ohne Nutzen und Gebrauch 
	sein wird; als des Hl. Sch.[5] seinen, dem es 
	doch an dem apparatu nicht ermangelt, u. es wohl 
	besser machen könte und solte; vielleicht wird man 
	aber bei dem neuern statu künftig mehr darauf 
	sehen, u. ihn mit seinem Patrono nicht so durchschleichen 
	lassen.   Ob Er, in seinen Lectionib. Mathem. 
	als Prof. besser reusiren, und mehr nützliches aus=
[Bl. 41v]
	richten mögte wohl wissen.
Was Ew. HochEdl. mir sonst von neuer Einrichtung dem Vice-D. und anderen Anstalten melden wollen, ist mir lieb, zu vernehmen gewesen; u. bin für die gute Nachrichten mit Danck verbunden, u. in sonderheit darfür, daß Sie bei Hl.Hofraht Jabl.[6] mich zu fernerer Verfertigung des frantz. Calenders, wenn solcher Mons. Dussarat[7] abgenommen werden solten, recommendiren wollen, welches eventualiter noch ferner hin zu thun bitte, u. werde ich selbst allererstens Hochgedachten Herrn Hofraht mit Schreiben, wie ich schon lange schuldig bin, aufwarten, inzwischen ersuche dieselbe, demselben mein gehorsamstes Compliment zu machen, und dessen zugleich zu versichern.
Dieselbe meinen auch, ich solte deswegen an Herrn Geheimen Raht von Gundling[8] gleichfals schreiben; ich bin es aber wohl nicht zu thun gesonnen: denn ich habe, weil ich von Berlin weg u. mich hier befinde, gedachten Herrn Geheimen Raht wohl 2. oder 3mal bereits mit Schreiben aufgewartet, ja noch im vorigen Jahr, da Hl. Hofraht Jäg.[9] an mich geschrieben, hat dieser sich auf des Herrn Geheimten Rahts von
[Bl. 42r]
Gundling Antwort an mich berufen, als ob ich darin 
	ausführlich dieß u. jenes vernehmen würde;
	allein ich habe noch nie einige Zeilen von 
	ihme hieselbst empfangen, da Er doch bei meinem 
	Abschied selbst mich sonderlich ermahnet oder 
	gebetten, daß ich nur fleissig an Ihn schreiben mögte; 
	dargegen versichernden mir gerne zu antworten, 
	u. allwege meiner eingedenck zu sein; allein 
	ich finde es bei Ihme u. theils an andern (plus 
	minus) nur allzu wahr: wohl aus den Augen 
	wohl aus dem Sinn; welches mich aber doch bei Ihme 
	vornemlich befremdet, da Sie selbst wissen, wie 
	ich ehemals, u. bereits viele Jahre, mit Ihme so 
	bekant und wohl dran gewesen. Inzwischen solle 
	mir doch lieb sein, wenn Ew. HochEdl. dem Hl. 
	Geheimen Raht von Gundl. selbst einmal zu sprechen 
	oder aufwarten, u. ihm mein gehorstamstes 
	compliment machen, auch allenfals meine Klage vorbringen 
	wolten, darum, daß ich auf etliche Schreiben, durch 
	etliche Gegenzeilen dessen Andencken u. Gewogenheit, 
	zu meiner grossen Verwunderung 
	nicht wäre versichert worden.
Ferner muß Ew. HochEdl. um etwas, was ich schon
[Bl. 42v]
	längst de jure wissen solte, aber doch nicht recht weis, 
	wie mir erst kürzlich beigefallen, nemlich:
	Wir haben ja nicht sowohl den Gregorianischen 
	als vielmehr den reformirten Calender angenommen, 
	das ist: wir bekümmern, bei Bestimmung des 
	Oster Termins (wie wir in allen Calendern melden) 
	uns nicht mehr um die Cyclische Rechnung; sondern 
	wir rechnen astronomisch:[10] Wir sind den 
	Gregorianern inzwischen beigetretten, u. haben 
	bei Anfang des Seculi 11. tage überhüpft, und 
	zehlen mit ihnen bisher einerlei Zeit oder tage;
	ich frage demnach: haben wir denn neben unser 
	Astronomischen Rechnung das Gregorianische 
	Jahr mit angenommen, und sollen bei uns die 
	folgende zwei Secularjahre 1800 und 1900. 
	gleichfalls nicht bissextiles sein, als nur erst 
	das 2000.ste oder sollen wir doch hernach nach 
	Julianischer Form fortfahren? Welches leztere
	ich doch gar nicht glauben kan, sondern glaube 
	vielmehr das erste, möchte es aber, durch 
	ein gewisses Zeugnis oder authentische Bestimmung, 
	gerne gewiß sein, u. wissen, was desfals 
	damals auf dem Reichstag ausgemacht oder 
	gesetzet worden sei; bitte dann, mich dessen 
	eines näheren zu berichten.
[Bl. 43r]
	Noch eine Nachricht bitte mir aus: Auf wieviel Jahre 
	hinaus die Ephemerides des Marquis Ghislerii[11] oder 
	des Mons des Places[12] (von welchen Mons. Dusarrat 
	mit gemeldet) sich erstrecken, u. was sie ungefehr 
	kosten, item ob von einem Autore sonst sich weithin 
	aus erstreckende Ephemerides heraus gekommen, 
	oder doch in der Mache seien?
Weilen ich sonst keine sonderlichen observationes bei meiner gegenwärtigen Verfassung machen kan, so schreibe ich doch noch täglich das Wetter auf. Noch Eins: Ich habe schon etliche mahlen Hl Eßling[13] geschrieben, und ihn gefraget, wo dann sein Secretarius der Hl. von Klesch[14] hin sei, weil ein andere Person die Briefe bei ihm schreibt aber nicht so wohl oder deutlich wie jener. Habe aber niemals einige Erklärung darauf bekommen können, welches mich und meine Frau befremdet, nicht begreifende, was dessen Ursache sei. Derohalben bitte Ew. HochEdl. gleichfals,mir ohnbeschwert und unter der Hand zu berichten: Was es für eine Bewandnis mit Herrn von Klesch habe, und in quibus terminis Herrn Eßlings Zustand selbsten stehe, ob er noch viel zu arbeiten u. Gehülfen habe, etc. Sie können allenfals eines oder das andere auf ein
[Bl. 43v]
	apartes Blätgen entwerfen, damit, wenn ich von Ihnen 
	wieder Antwort erhalte, und meiner Frau dero Schreiben, 
	wenn sie es wahr nimmet, etwa zu lesen verlangen 
	solte, ich solches Blätgen nach Gutbefinden, davon 
	zurück behalten könne: denn Sie können sich 
	mir gewiß vertrauen, wo Sie etwa eine Bedencklichkeit 
	der verlangten Nachricht wegen trügen.
Mit was für einem Instrument haben Sie die Polus Höhen zu Ham= und Brandenburg genommen, u. zwar ferner ob durch die Sonne u. Fixsterne zugleich. Auch möchte wohl wissen, welche Statt gegen die andere grösser sei, ob Hamburg oder Berlin, und etwa in qua ratione; item wo mehr schönere Häuser sich finden? ich habe sonderliche Ursache, deßen gewiß zu sein. Sie werden mich sehr vergnügen, und sich verbinden, wenn Sie mir mit allen diesen u. anderen angenehmen Nachrichten mehr werden an Hand gehen.
Übrigens werden Ew. HochEdl. samt dero Jungfer Schwestern von mir u. meiner frauen aufs dienstfreundlichste, unter Anwünschung alles Guten, gegrüsset; bitten aber auch, Herrn Eßling bei Gelegenheit unsern Gruß unschwer zu vermelden. Nebst Empfehlung in Göttlichen Schutz verharre
   Ew. HochEdlen
	Hildburghausen
	den 24. Mart.
	  1725.
ganz ergebenster
	diener  
	Joh. Wilh. Wagner.
[Durch einen Strich abgetrennter Einschub auf 42v und 43r, jeweils unten]
	Ew. HochEdlen lassen sich nicht zuwieder sein, daß ich Ihnen 
	Unkosten durch Brief porto verursache; denn ich habe das 
	Vertrauen, Sie werden mich wohl noch so viel wehrt achten, oder 
	um meinetwillen depensiren; denn der Correspondenz u. 
	Bekantschaft wegen kan es doch nicht so gar leer abgehen: 
	ich meines Orts gebe gerne Postgeld aus. Ich bitte nur, dero 
	gute Freundschaft mir unverändert bei zu behalten; Von 
	mir können Sie es gewiß versichert bleiben.
[Einschub am linken Rand von Bl. 42v]
	Wie stehet es denn mit dem Dienst, Amt u. Succession 
	Hl. Prof. Paul Paters[15] zu Dantzig. Könten Sie da niemanden
	helfen vorschlagen, wenn es anderst eine Sache wäre, so 
	etwa noch profitable und practicable.
Fußnoten
- ↑ Dieser Mons. Marl konnte bislang nicht näher identifiziert werden.
- ↑ Elisabeth Sophie von Brandenburg (1674-1748) ging 1714 ihre dritte Ehe mit Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen (1672-1724) ein.
- ↑ Von 1721 bis 1728 war Johann Caspar Schneider aus Bayreuth Prediger der reformiertern Gemeinde. Er wurde später Hofprediger in Köthen.
- ↑ Gemeint ist die Sonnenfinsternis vom 20.05.1724.
- ↑ Johann Georg Schütz (?-1730) wurde 1720 neben Christfried Kirch als Observator der Sozietät angestellt. Kirch sollte ihn einarbeiten. 1725 ging Schütz als Professor für Mathematik nach Frankfurt an der Order.
- ↑ Johann Theodor Jablonsky (1654-1731) war Sekretär der Preussischen Akademie der Wissenschaften.
- ↑ Arnauld Dusarrat (1666-1733) war seit 1704/05 französischer Drucker und Verleger in Berlin.
- ↑ Jakob Paul Gundling (1673-1731) stammte aus Hersbruck bei Nürnberg. Von 1718 bis 1731 war er Präses der Berliner Sozietät.
- ↑ Friedrich Jägwitz (1665-1727) war von 1716 bis 1727 Direktor der mathematischen Klasse bei der Berliner Sozietät.
- ↑ 1724 ergaben die unterschiedlichen Berechnungsweisen des Ostertermins erstmalig nach 1700 verschiedene Ergebnisse. Tatsächlich feierten die evangelischen und die katholischen Christen damals Ostern nochmals an verschiedenen Terminen. In diesem Zusammenhang wurden erneut Fragen zum Ostertermin diskutiert.
- ↑ Ghisilieri, Antonio (1685-1734): Ephemerides motuum coelestium ab anno 1721 ad annum 1740. Bologna 1720.
- ↑ Desplaces, Philippe (1659-1736): Ephemerides des mouvemens celestes pour les annees 1715-1725: pour le meridien de la ville de Paris. Paris: Collombat 1716.
- ↑ Johann Ernst Eßling (1683- 12.11.1743) war als Mechaniker bei der Berliner Sozietät angestellt. Er war der Schwiegervater von Wagner.
- ↑ Dieser Herr von Klesch konnte bislang nicht näher identifiziert werden.
- ↑ Paul Pater (1656-1724) war Mathematiker und Astronom in Danzig. 
		- ADB 25 (1887), S. 221-222.
 
 
	 
	 
  