Briefwechsel Johann Leonhard Rost


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Rost, Johann Leonhard (1688-1727)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 25. Juli 1722
Signatur UB Basel: L Ia 720, Bl. 81r-v, 83r-v, 82r
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler, und Hochgelahrter,
  Hochgeehrtester Herr,
   Hochgeschätzter Gönner.

Ew. HochEdl. vom 14 Junii datiertes Schreiben, ist mir den 19 darauf, aus der Endterischen[1] Buchhandlung, richtig geliefert worden: und habe ich daraus mit Vergnügen gesehen, daß Ihnen meine Nachricht von der Oster Differenz, nicht mißfällig gewesen ist;[2] also daß es Ihnen auch gefallen, selbige an die Hoch Löbl. Societaet, gelangen zu laßen. Ob ich nun schon bißhero von Tag zu Tag vermuthet, Ew. HochEdl. würden mich weiter berichten, was wegen dieser materie in loco passiret: so hat doch Dero Stillschweigen, mir hinlänglich zu erkennen gegeben, daß die verhofte mathematische Conferenz, noch keinen Fortgang gewonnen: dahero ich mich auch noch länger gedulten muß. Ich habe mich unterdeßen auf nachdrückliches Zureden des Herrn von Wurzelbau, gezwungen befunden, die angeregte Differenz, allhiesigen Magistrat zu notificiren, welches den 13 passato schriftlich geschehen ist. Es hat derselbige hierauf meinen Vortrag, Hl. Professor Doppelmayer überschicket, und begehret, daß er sein Bedencken darüber von sich geben sollte.[3] Ich weis aber nicht, ob es bereits geschehen, oder nicht. Denn er hat sich mit mir deßwegen noch nicht besprochen: und so viel ich aus einigen Umständen auch seiner eigenen Conduite schließen kan, so werde ich mit dieser materie ebenso schlechte Ehre, als wie mit der ehemaligen publicirten observation des Nord Scheins, bey ihm einlegen.[4] Unpartheyische Leute, mögen beurtheilen, wo er unter uns beyden Ursache sich zu beschweren habe. Ich meines Ortes begehre es aber gleichwol nicht zu tuhn, weil mich diese Erklärung sattsam rechtfertiget, daß ich meine Astronomische Verrichtungen der Ehre Gottes, und dem

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Publico, nicht aber meiner eitlen Ehrsucht zu widmen begehre. Mir ist es mittlerweile lieb, daß Ew. HochEdl. Meinung von dieser Differenz, mit der meinigen übereinkomme: und kan es meinem geringen Verstande nach unmöglich anderst seyn, als daß das A.o 1699 von dem corpore Evangelico in Regenspurg abgefaßte decisum, seine Kraft behalten mus. Will der Gegentheil bey dem unrichtigen Cyclo beharren, so mag ers tuhn. Sind wir doch ante Calendarii emendationem[5] öfter noch länger als 8 Tage in Celebratione Paschatis[6] von einander unterschieden gewesen. Was aber das meiste in dieser Sache, welches Anlaß giebt, sie höheren Orten genauer zu untersuchen, so haben wir die 8 tägige Oster Differenz, in gegenwärtigem Seculo außer 1724, noch 3 mal, nehmlich A.o 1744. 1778. u: 1798 zu gewarten. Denn nach meiner ex Rudolphinis[7] angestellten Rechnung, ist A.o 1744 das Plenil. d. 28 Mart 9 H. 45'. 56". p.m. temp. med. Uranib. quae dies Satur. est. Ergo d. 29 Mart Pascha reformati: Stilo Gregoriani autem terminus Paschalis erit d. 29 Martii die Dominica. A.o 1778 Plenilunium d. 11 April. 9.h 29.' 33" die ♄ et Pascha d. 12 April: Plenilunium vero medium cycli. cum d. 12 April d. ☉is. Ergo Pascha d. 19 April. A.o 1798. Plenilunium d. 31. Martii h. 11. 41'. 33" iterum die ♄ et Pascha die sequent. 1 April, cylice autem d. 8. ejusd.[8] Hieraus kan man ja den Gregorianern, die Unrichtigkeit ihres cycli klärlich vor Augen legen, und ihnen etwan dadurch Anlaß geben, daß sie sich die bißhero zu Rom intendirte Emendation ihres Styli, einen größeren Ernst sein laßen, als bißhero geschehen ist: Großen Herren herentgegen, kan man itzt eine sehr bequeme Vorstellung tuhn, wie notwendig u: nützlich, die Excolirung des studii Astronomici sey; anerwogen es auch in politischen u: geistlichen Dingen unverwerfliche ja unentbehrliche Dienste leistet. Solte von Ew. HochEdl. in dieser materie ein Gutachten gefordert werden, wie daran gar nicht zu

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zweifeln ist, so geruhen sich nach Dero preißwürdigen Eiffer vor diese schöne Wissenschaft, ja nichts zu verschweigen, was zu deren Aufnahme und beßern Hochachtung gereichen kan; welches vielleicht andere Astronomi u: Mathematici auch nicht unterlaßen werden. Passiret hier weiter was in der Sache, oder vernehme ich von andern Orten was davon, will ich es zu berichten nicht ermangeln, und dergleichen mir von Ew. HochEdl. ergebenst ausbitten, damit wir uns etwan in einem u: dem andern Stücke darnach richten können. Die vorhabende Dedication meiner Institutionum Astronomicarum[9] betreffend, belieben Ew. HochEdl. der verlangten Nachricht eingedenck zu seyn.[10] Sie mag nun gleich an das Mathematische Departement allein, oder an den Hl Praesid. Vice-Praesid. und Hl Directores gerichtet werden, so dürfte ich doch beyderseits die vollständige und eigentliche Titulation gebrauchen, die Hl Raht Jablonski[11] freylich am besten communiciren kan. So möchte ich auch wol wißen, wie viel ich Examplaria übersenden müste. Es ist mir zwar sehr leid, daß Ew. HochEdl. deßwegen Mühe verursache: Ich habe aber eine so gute Opinion von Dero ungefärbten Freundschaft und aufrichtigen Gemüthe, daß ich glaube, Sie werden mir meine Freyheit zu guten halten; die ich durch andere nur ersinnliche Dienstleistungen zu erwiedern, niemal ermangeln will. Ew. HochEdl, haben mir zwar schon vor länger als einem Jahr den methodum calculi von dem ortu et occasu nec non mora apparationis Planetarum[12] hochgeneigt zu communiciren versprochen: ich glaube aber, es ist wegen Dero vielen Verrichtungen, bey Ihnen in Vergeßenheit gerathen. Ich bin also in Betrachtung Ihrer eigenen Zusage so kühne, Sie daran zu erinnern, und wünsche Ihnen so viel übrige Zeit, als zur Befriedigung meiner Sehnsucht erfordert wird. Die neuliche Eclipsis ☽ae,[13] ließ sich hier wegen des gantz trüben Himmels nicht observiren, der

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auch Hl M. Gauppen[14] in Lindau daran verhindert hat. Gestern Nachmittage, machte ich wol Anstalten Saturnum beym Monde[15] zu observiren: er kam mir aber erst nach 8 Uhr aus dem Gewölcke heraus, da er schon fast 1½ ☽ Breiten, zur rechten über dem Mond stund. Sonsten habe ich gehöret, als ob die Continuatio Ephemeridum Manfredi,[16] mit einer Introduction, biß A.o 1750 würcklich im Druck seyn soll; weil es mir aber eine Person gesagt, die gerne aufzuschneiden pfleget, so kan ich es noch nicht recht glauben, worzu die Italienische Introduction, die dißmahl nicht Lateinisch seyn soll, mich gar viel veranlaßet, indem ich nicht begreifen kan, warum der Auctor sich entschloßen Italienisch zu schreiben. Der Hl. von Wurzelbau läßt hinwiederum seine hertzliche Begrüßung vermelden, und erkennet sich vor die Nachricht wegen der Jüdischen Ostern 1724 verbunden. Er ist sehr begierig zu vernehmen, was weiter wegen der Oster Differenz passieren wird, und scheinet mit Hl Prof. Doppelmayr nicht zufrieden zu seyn, daß er in dieser Sache sich anstellet, als ob es nicht der Mühe wehrt, damit umzugehen. Ich kenne aber schon dieses Mannes Gemüth; weis auch, daß er nicht allein furchtsam wenn er die feder öffentlich ansetzen soll; sondern daß er auch mehr mit dem Munde, als in der praxi, ein Liebhaber der Astronomie zu nennen, wie das hiesige observatorium ein unumstoßlicher Zeuge ist, dahin ich seit hero des großen Nord Scheines, keinen Tritt mehr getahn habe, weil ihm meine damalige Anwesenheit daselbst, so verdrüßlich gewesen ist.[17] Ew. HochEdl. wißen schon was ich meine: drum mag ich auch weiter kein Wort davon verlieren: Ich will vielmehro melden, daß ich aus unverfälschtem Hertzen, lebenslang unter dem Genuß Dero beständigen Wolgewogenheit zu beharrern wünsche

Ew. HochEdl.

Nürnberg.
d. 25 Julii 1722.

verbundenster und gantz
ergebenster diener.  

Johann Leonhard Rost

[Bl. 82r]

P. S.

Da Ew. HochEdl. Schreiben ich schon gesiegelt hatte, kam mir unvermuhtet Dero neulich edirter transitus Mercurii per Solem in die Hand;[18] da ich dann gesehen, daß Sie in der Lateinischen Dedication, das Wort Illustrißimq dem Maxime reverendo vor, in der communicirten teutschen Titulatur aber, zu erst Hochwürdigen und hernach Wolgebohren gesetzet. Ich stoße derohalben an, welches unter beyden das rechte ist: und mus bey Ew. HochEdl. mir darum eine Erläuterung ausbitten, weil ich nicht weis, wer Praeses oder Vice-Praeses, um aus dem Character oder der Geburt der Person, den Rang zu distinguiren. Mich düncket ich habe einmal gehört, der Praeses wäre Herr OberHofprediger Jablonski,[19] worinnen mich das Prädikat Hochwürdiger, stärcket: ob er aber einem von Adel, der das Prädikat Wolgebohren führet, vorgehet, das ist mir unbekandt; so weis ich auch nicht, ob nur der Hl Vice Praeses allein, oder auch einige von den Hl Directoribus, Wolgebohren zu tituliren seyn; wiewol ich eben itzt sehe, daß Ew. HochEdl. den Pluralem bey diesem Titel gebraucht haben, dahero deren etliche seyn müßen. Hierüber bitte mir bald eine geneigte Antwort aus, maßen ich nicht gerne einen öffentlichen Fehler begehen und vornehmer Personen, dadurch touchiren möchte.


Fußnoten

  1. Die Endter waren eine bekannte Nürnberger Buchhändlerfamilie.
  2. Vgl. das PS von Rosts Brief an Kirch vom 20. April 1722.
  3. Doppelmayr hat ein Gutachten verfasst, das zugehörige Datum ist aber nicht bekannt.
  4. Vgl. diesbezüglich den Brief von Rost an Kirch vom 26. April 1721.
  5. ante Calendarii emendationem: vor der Verbesserung des Kalenders.
  6. Celebratione Paschatis: Die Feier des Osterfestes. Im 17. Jahrhundert betrug die Abweichung zwischen den julianischen und gregorianischen Ostern 21 Mal mehr als 7 Tage. Vgl. Steinmetz, Dirk: Die Gregorianische Kalenderreform von 1582. Oftersheim: Dirk Steinmetz 2001, S. 443.
  7. Kepler, Johannes: Tabulae Rudolphinae. Frankfurt a.M. et al. 1629; zahlreiche Neuauflagen.
  8. Rost benennt hier die verschiedenen Termine für die Osterfeier nach "evangelischer" und "katholischer" Berechnung für die Jahre 1744, 1778 und 1798. Tatsächlich wurde Ostern 1724 und 1744 von den Protestanten und den Katholiken nochmals an verschiedenen Terminen gefeiert, dann ging man auch in protestantischen Landen zum gregorianischen Kalender über.
  9. Rost, Johann Lenhard: Atlas Portatilis Coelestis. Oder Compendiöse Vorstellung des gantzen Welt-Gebäudes, in den Anfangs-Gründen der wahren Astronomie . Nürnberg: Johann Christoph Weigel 1723.
  10. Vgl. hierzu Rosts Brief an Kirch vom 20. April 1722.
  11. Gemeint sein dürfte Johann Theodor Jablonski (1654-1731), der von 1700 bis zu seinem Tod beständiger Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften war.
  12. methodum calculi von dem ortu et occasu nec non mora apparationis Planetarum: Die Methode zur Berechnung der Zeiten des Auf- und Unterganges der Planeten sowie der Dauer ihrer Sichtbarkeit.
  13. Am 29. Juni 1722 fand eine totale Mondfinsternis statt.
  14. Johannes Gaupp (1667-1738) war Pfarrer in Lindau, der aber vor allem als Astronom bekannt wurde. Er war einer der wichtigsten Briefpartner von Rost.
  15. Am 24. Juli 1722 kam der Saturn dem Mond bis auf etwa ein halbes Grad nahe.
  16. Manfredi, Eustachio (1674-1739): Novissimae ephemerides motuum coelestium e Cassinianis tabulis ad meridianum Bononiae supputatae. Tom. I: 1726-1737. Bologna: Pisarri 1725.
  17. Vgl. hierzu Rosts Brief vom 26. April 1721.
  18. Vgl. hierzu Rosts Brief an Kirch vom 20. April 1722.
  19. Daniel Ernst Jablonski (1660-1741) war seit 1693 Hofprediger in Berlin. 1710-1741 Direktor der Philologisch-Orientalischen Klasse der Akademie, späpter auch deren Präsident. Der oben angeführte Sekretär Johann Theodor Jablonski war sein Bruder. Nicht auszuschließen ist, dass Rost hier die Brüder Jablonski miteinander verwechselt.