Briefwechsel Johann Leonhard Rost


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Rost, Johann Leonhard (1688-1727)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 8. Februar 1721
Signatur UB Basel: L Ia 720, Bl. 68r-70v
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler und Hochgelahrter,
  Hochgeehrtester Herr,
   Hochgeschätzter Gönner.

Es ist Ew. HochEdl. Schreiben vom 8 Januar. mir den 22 darauf, richtig zu Handen kommen. Ob ich nun schon aufrichtig versichere, daß es mir allezeit eine hertzliche Freude verursachet, wenn ich einige Zeilen von Ihnen zu entsiegeln, die Ehre und das Glück habe, so muß ich doch gestehen, daß Dero letztern mich sehr alteriret, weil ich darinnen die traurige Nachricht, von dem Absterben der Seel. Frau Muttern angetroffen.[1] Wenn Ew. HochEdl. zu glauben geruhen mögen, daß ich vor dieses liebe Weib, allezeit eine sonderbahre Hochachtung geheget, so werde ich auch gewiß den Beyfall erlangen, daß ich ein genugsames Recht, über deren Hintritt mich zu betrüben, und an Dero gerechten Schmertzen Theil zu nehmen. Gleichwie es aber Gottes allweiser Wille, vor dienlich zu seyn erachtet, Sie von dieser Welt, und zugleich von Ihren Neidern, Feinden und Mißgünstigen abzufordern, damit er Sie zur ewigen Ruhe bringen möge: als zweifele ich gantz ob, Ew. HochEdl. werden die Fügung des Höchsten, in möglichster Gelaßenheit billichen u: Ihren Schmertzen ein solches Ziel setzen, daß man Dero Ergebung in Gottes Willen daraus beurtheilen, und das niedergeschlagene Gemüthe, sich mit hinlänglichem Trost wieder aufrichten kan. Ich wünsche dieses von Grunde der Seelen, und füge noch ferner hinzu, daß Ihnen Gott selber, Ihre Thränen, mit Zusendung freudiger Begebenheiten, vollkommen abtrocknen, und dergleichen betrübte Fälle von Ihnen und denen Ihrigen in Gnaden abwenden: vielmehro Sie auf späte Zeiten, bey ungekränckter Glückseligkeit, stetswährenden Wohlergehen, und allem übrigen Vergnügen erhalten wolle; damit Sie noch fein lange, zu Gottes Ehren und zum Dienste des Nächsten, Ihren Astronomischen Eyffer fortsetzen, und dem Ruhm Dero Seel. Eltern, immer weiter ausbreiten; Sich selber aber zu einem Mann machen mögen, deßen Gedächtniß nicht eher aufhöret, als biß wir insgesamt die Sterne unter unsern Füßen haben, und demjenigen Majestätischen Schöpfer, von Angesicht zu Angesicht sehen können; vor deßen Weisheit wir hier erstummen, und sie nur unvollkommen bewundern müßen. Ew. HochEdl. nehmen diesen Wunsch zu gleich zum neuen Jahr an. Stelle ich mich schon zu späte damit ein, und vermenge ihn mit meiner Condolenz: so ist er doch die aufrichtigste Gratulation, dergleichen jemand bey Ihnen mag abgeleget haben, weil ich mit meinem Gewißen bezeugen kan, daß ich weder heuchele noch schmeigele, noch eitle Complimente zu schreiben begehre, wenn sie schon dem äußerlichen Ansehen nach also scheinen solten. Gott weis es, wie hoch Ew. HochEdl. ich schätze; wie un=

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verfälscht ich Ihnen ergeben bin, und wie begierig ich dieses durch die That bekräftigen möchte, wenn ich nur das Vermögen und die Gelegenheit darzu hätte. Vielleicht verleyhet mir aber Gott noch eines wie das andre; da wird sichs dann zeigen, daß ich non verbis sed factis, meine Vorgeben zu behaubten verlange.

Was sonst den Inhalt von Ew. HochEdl. Brief anbetrift, so muß ich occasione ☌ ♃ ♂[2] melden, daß ich gleichsam immer mehr und mehr gezwungen werde, der Astrologiae rationalis Gehör zu geben, und von meinem ehemaligen Unglauben abzuweichen. Denn außer diesem Casu von der ☌ ♃ ♂, der sich fast durchgehends legitimiret, so finde ich in Meteorologicis, die sich auf die Aspectus beziehen, daß selbige selten fehlen. Ich werde also in das künftige in meinem Judicio behutsamer gehen, maßen sich ohngleich ein jedes Ding vor ohnmöglich oder gar falsch aus schreyen läßet, davon man sich keinen Begriff zu machen weis. Ew. HochEdl. seyen so gütig und benennen mir einen guten Auctorem, deßen ich mich zur bessern Untersuchung und Erlernung der Astrologischen Regeln bedienen kan, dieweil ich begierig bin, auch in dieser materie der Warheit näher zu tretten, wenn sie sich anderst so begreifen läßet, als Sie selbige in Ihren Prognosticis, auf mir wunderbahre Weise ausüben. Wie die Witterung hiesiges Ortes circa finem anni praeteriti et initium currentis[3] beschaffen gewesen, das werden Ew. HochEdl. meinem Diario Tempestatum, in den Breslauischen Natur und Medicin Geschichten zu seiner Zeit antreffen,[4] weil ich Ihnen hier nicht beschwerlich fallen mag. So viel mus ich daraus excerpiren: ☉ d. 27. Octob. vor und nach 9 Uhr zu Nachts, habe ich etwas von einem Nord Schein,[5] und absonderlich einen weißen hellen Streif, von dem Asellis Bootis biß ad penultimam caudae Ursae majoris (ζ)[6] angemercket; weil aber der Himmel in plaga boreali, ziemlich wolckicht war, so konte ich nichts rechtes deutliches sehen. Den 1 Januar 1721. finde ich in meinem Diario folgendes:[7] Nachts um 10 Uhr, war es etwas windicht und wolckicht mit herfürblickender Heiterkeit. Der Himmel, kam mir dazu mahl in plage boreali, wo er ziemlich hell war, sehr seltsam und ungewöhnlich für, als ich noch niemal bey dergl. Zeit und Umständen wargenommen. Es war nehmlich daselbst, so weit ich wegen der fürstehenden Gebäude sehen konte, überaus weis und helle, und zwar um so viel heller und weiser, als sonst die Galaxia, bey der reinsten Luft zu seyn pfleget. Nichts desto weniger zeigten sich die Sterne in dieser Helle gantz deutlich, wenn sie auch schon 3 u: 4ter Größe waren. Das Confinium der weisen, und der gewöhnlichen schwartzen Farbe des gestirnten Himmels, praesentirte einen arcum circuli, oder kam ihm doch beynahe gleich. Er fieng sich nach dem Stande meines Auges, zur lincken Hand, in der Gegend des Caudae Cygni an; von da erstreckte er sich per Draconem et polum Eclipticae: und ging nach dem mittlern Stern ex tribus in Caud. Urs. majoris, allwo mich die Gebäude nicht weiter sehen liesen. Circa Zenith, und zur lincken von der Cassiopeia an, biß ad regionem Caudae Cygny, war es wolckicht oder vielmehr trübe. Es vermehrten sich von dort her die Wolcken immer stärcker, und benahmen mir nach Verlauff einer halben Viertel Stunde, den Prospectum dieser seltsamen Himmelsgestalt,

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deren Glantz die Erde ziemlich helle machte. Ich vermeinte zwar immer, es solten sich die Wolcken wieder zertheilen: allein, ob ich schon biß nach 11 Uhr wartete, blieb es doch beständig trübe, dabey es ¼ vor 11 Uhr, etwas regnete etc. Ob nun dieses ein Nord Schein oder andres Phaenomenon gewesen, das will Ew. HochEdl Beurtheilung anheim stellen.

Ich gehe weiter in der Antwort Ihres Briefes fort und melde, daß bishero auch kein Wetter hier gewesen, die Eclipses Satel. ♃is zu observiren, und scheinet es, der Himmel wolle gar nicht recht mehr heiter werden. Doch wenn auch dieses schon wäre, so müste ich doch meine neuliche Klage führen. Vielleicht schickt aber Gott, nach Ew. HochEdl guten Wunsch, beßere Zeit und Gelegenheit: da wird sichs dann schon zeigen, wie begierig ich bin, mit Betrachtung der Wunder Gottes umzugehen.

Die allegirte Passage in den Tabb. Cassinianis Satel. ♃[8] habe ich nachgeschlagen, und weis ich nicht wo ich meinen Kopf gehabt, daß ich diese materie noch nicht daselbst gelesen. Sie ist zwar deutlich genug, aber weitläuftig, und sagt Cassini selber, daß sich nicht sicher genug darauf zu verlaßen. Inzwischen hat auch Zumbach im Jovilabio pag. 30. 31.[9] diese materie abgehandelt, und will ich itzt schon trachten, mir den calculum geläuftig zu machen. Pounds Tabellen,[10] habe ich noch nicht gekriegt, und ist mein Correspondent in Leipzig so höflich, daß er mir nicht einmal auf mein Ansuchen antwortet. Hier, weis kein Mensch was davon, dahero es schwer hergehen wird, biß ich sie zu Gesicht kriege, ob ich mich gleich sehr darnach sehne.

Wenn Ew. HochEdl. an Ms. de l'Isle[11] schreiben, so vergeßen Sie die Nachfrage wegen der Ephemeridem nicht. Ich werde mich auch durch den Hl von Wurzelbau erkundigen laßen, ob Manfredi[12] nicht die seinigen continuiret. Denn ich mercke allen Umständen nach, daß Gaupii seine liegen bleiben. Dieser gute Mann hat nur itzt lange nicht geschrieben, daß ich nicht weis ob er noch lebet oder tod ist; welches letztere wegen seines anwachsenden Alters, wol möglich wäre.[13]

Um ortum et occasum planetarum[14] nach Crügeri Unterricht zu berechnen,[15] halte ich dafür, daß er sich vor die Unwißenden, deutlicher erklären sollen. Es ist wol wahr, daß seine methode vollkommen richtig: allein das angeführte Exempel mit dem Regulo, düncket mich nicht a propos genommen zu seyn. Denn ob schon Regulus eine Breite von 28.' 45'' und also extra eclipticam, so nimmt er doch ascensionem rectam longitudinis in eclipticae, ohne der Breite wegen andrer Sterne, mit einem Worte zu gedencken; wie wohl es seyn kan, daß er sich tacite darauf beziehet, weil die Ascensio recta fixarum ex Catalogo sich schon auf die Breite gründet. Bey dem Planeten herentgegen siehet es anderst aus. Die Mühe zu ersparen, um ihre Ascensionem rectam trigonometrice zu suchen, wird wol meine Anweisung im Astronomischen Hand Buche pag. 86. seqq. hinläglich seyn, wiewol sie auch nicht so compendiös ist, als ich wünsche. Wenn es aber nicht anderst seyn kan, so mus man sich wol so viel Mühe machen.

Ew. HochEdl. haben ferner geschrieben: das tempus durationis apperationis planetarum[16] zu finden, ist etwas schwer. Dieses verhält sich in der That also, zu mahl vor mich.

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Nicht quo ad calculum ipsum, sondern nur quo ad methodum, der mir in Ermangelung eines Exemplum schwer fällt. Die ☉ Tiefen verstehe ich gar wol: herentgegen stehe ich darinnen vor, da Ew. HochEdl. geschrieben: Man rechnet die Zeit aus, wenn die ☉ ex. gr. bey dem ♄no unter dem Horizont stehet. Hier ist nun kein locus ☉ und folglich keine Declination, sondern nur profunditas solis[17] bekand; wie gelange ich denn zu dieser Zeit, die nothwendig ni fallor ex angulo quem facit, Verticalis cum aequatore[18] erhellen mus? Ich habe hierüber den Hl von Wurzelbau um Rath gefraget: allein der gute Mann, wuste mir, (non ex ignoratia sed ob defectum judicii et memoriae,[19] welches wegen seines Alters sehr abnimmt) keinen Unterricht zu ertheilen: er verwies mich auf den Globum, der mir hier immer eine Erläuterung, sed frustra, geben würde. Ew. HochEdl. versichere ich, wie es mich in der Seele kräncket, daß kein eintziger Mensch in Nürnberg ist, der mich in dergleichen Dingen unterrichtete, wenn ich auch schon Geld dafür geben wolte. Ich habe alles, was ich von der Astronomie weis, hin und her vor mich zusammen suchen müßen, welches, wie leicht zu erachten, viele Mühe und Zeit gekostet.[20] Dabey sich noch ereignet, daß man immerzu zweifeln muß, ob man auch recht operiret, wenn man auf solche weise etwas lernet, weil man niemand an der Hand, der die Gründe erläutert, und die Regeln der Gewißheit fürstellig machet. Es ist zwar Herr Doct. Klimm hier, der im Calculieren wohl beschlagen seyn soll: allein außer dem daß er biß in die Nacht mit dem Informiren in der Latintaet umgehet, und alle übrige Zeit auf einen Process wenden mus, so habe ich aus dem Umgang mit ihm befunden, daß ihm das donum proponendi[21] fehlet, oder daß ihm die materie nicht mehr so geläufig ist, als sie sonst mag gewesen seyn, gestalten er mir oft in geringen Dingen, mehr eine Confusion als eine Erläterung verursachet, wiewol vielleicht auch sonst noch eine Ursache darhinter stehen mag, warum er nicht recht mit der Sprache heraus will. Dem sey aber wie ihm wolle, so erwegen Ew. HochEdl. nur selber, wie es meinem Lehrbegierigen Gemüthe seyn mus, wenn es auf keinerley Weise zu seinem Zweck gelangen kan. Wenn Ew. HochEdl und Hl. M. Gaupp nicht so gütig gewesen, daß sie mir in vielen Stücken ein Licht angezündet, um den Weg zum Himmel zu finden, so würde ich noch sehr in der Finsterniß herum tappen und in mancher Sache ein Ignorante seyn. Gott wird solche unverdiente Gefälligkeit, die zu seinen Ehren verrichtet, gewiß nicht unvergolten laßen, und ich will es Zeit meines Lebens nicht in Vergeßlichkeit stellen, auf alle ersinnliche Erkänntlichkeit bedacht zu seyn. Gleichwie ich nun weis, daß Ew. HochEdl. mit dieser Erklärung zu frieden, und mir als Ihrem großen Schuldner noch etwas borgen: also zweifele ich noch weniger an der Fortsetzung Ihrer Affection, und hege das Vertrauen zu Ihrer Gütigkeit, Sie werden mir die Liebe erweisen, und in der materie von dem calculo ortus et occasus planetarum,[22] nähern Unterricht communiciren, und zwar 1) ob ich Ascens. rectam planetarum nach meinem Astron. Handbuch pag. 86 sicher genug bestimmen kan? 2) Wie die Zeit zu berechnen, wenn die ☉, die dem Planeten zugehörige Tiefe erreichet? 3) wie weit die Planeten von der ☉ entfernet bleiben, wenn sei sichtbar und unsichtbar werden, oder wie es insgemein heißet, wenn sie sich unter die ☉ Strahlen verbergen, und wieder heraus tretten? 4) Möchte ich ein Muster der Tabell, vor die Verschwindung und Erscheinung eines Planeten, nur auf ein Monath haben, um desto eigentlicher zu sehen, wie sie eingerichtet wird, da ich sie dann hernach gar gerne auf meine Polus Höhe rechnen will, weil ich sie nirgends anders als hier gebrauche. Da sichs aber gleichwohl bißweilen füget, daß man den ortum et occasum, an einem andern Orte wißen möchte: so geschehe mir ein großer Gefallen, wenn ich wiste wie eine solche Deductions Tabelle von meiner Polus Höhe auf andere, zu verfertigen: dergl. in Ew. HochEdl. Ephemeridibus pag. 60. 61[23] enthalten ist. Was Ew. HochEdl. mir sonst von den Tabellen zum Auf und Untergang des Mondes auch der Planeten, gütigst zu communiciren versprochen haben: darauf freue ich mich von Hertzen, und wünschte mir Flügel zu haben, daß ich sie selbst aus Berlin abholen, und nur etliche

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Tage oder Wochen bey Ihnen seyn könte, weil mir solches etwan viel nutzen solte. Denn meine Begierde in Astronomischen Sachen, ist größer, als Sie etwan glauben, und werden mir alle minuten zu Stunden, biß ich von diesem oder jenem Puncte eine Kundschaft kriege.

Von dem Hl. von Wurzelbau und Hl Prof. Doppelmaier, habe hinwiederum ein Compliment abzulegen. Der erste ist sehr erschrocken, als ich ihm den Tod der Seel. Frau Mutter notificiret, u: hat er sie nicht wenig beklaget. Er bediente sich unter andern der Worte: Sie ist eine kluge u: verständige Frau gewesen, die um so viel mehr zu bedauern, weil sie bey unsern Zeiten die einige war, welche von solchen Sachen eine Kundschaft beseßen, an welche sich die tausendste Weibs Person nicht wagen wird oder kan: und habe ich aus ihren Briefen befunden, die sie an mich geschrieben, daß man sie ein kluges Weib nennen darf. Ew. HochEdl. läßt Er durch mich seine Condolenz abstatten, und wünschen, daß Ihnen Gott, den erlittenen Verlust auf andre Weise ersetzen und Ihnen eine desto längeres Leben verleyhen möchte. Ich soll Ihn dabey entschuldigen, daß er Dero letzten Brief noch nicht beantwortet, als woran Ihn allerhand Zufälle verhindert, absonderlich mache ihn sein Alter und die abnehmende Kräften, fast zu allem ungeschickt: und nun ist auch seine Frau Liebste bey 14 Tagen biß 3 Wochen kranck, also daß er sie anfänglich, da sie in der Nacht schnell kranck worden, und Sprache und Gehör nebst den übrigen Sinnen verlohren, gar einzubüßen vermeinet: es hat aber Gott, die Anstalten meines Bruders, den er gleich holen laßen, dergestalt gesegnet, daß sie sich gleich den andern Tag wieder erholet, und sich nur itzt mit einer starcken Geschwulst am rechten Arm schlaggen mus, dabey sich ein Rotlauff eingestellet hat. Hl Prof. Doppelmaier, ist vor die observationes magneticas obligiret, und wird Er sich eine Ehre daraus machen, wenn Sie an ihn schreiben mögen. Die Eclipses ♀ et ☽[24] war hier jüngst nicht zu observieren, weil es das schlimme Wetter verhinderte, welches meistentheils Regen und trübe auf gantz gelinde Tage bringet: dahero es auch hier den 29 Dec. 1720 nachts um 9 gedonnert, und den 25 Jan. 1721 um eben diese Zeit oft und starck geblitzet: und kömmt mir dieser Winter nicht anderst, als der vor dem neulichen dürren Sommer für: Gott gebe, daß nicht wieder eben dergleichen darauf erfolget.

Endlich dancke ich auch vor die überschickten Pillen und Krebs Steine,[25] wofür hier die Bezahlung gebührend folgen wird. Es ist mir durch die ersten ein großer Gefallen geschehen, und bitte ich deren so viel zu sammlen, als Sie nach und nach bekommen können. Ich weis schon, daß Hl D. Stahl an eine Person, nicht viele Loht zugleich giebt, und sich zu entschuldigen pfleget, wie nicht mehr als eines beyhanden wäre. Sie belieben derohalben sich in der Abforderung eines Tertii zu bedienen, so möchte man schon einige Loht biß auf die Oster Meße zusammen bringen; dafür das Geld sogleich richtig erfolgen soll. Ew. HochEdl. tuhn mir nur die Liebe, und schonen meiner auch nicht, wenn ich Ihnen etwas dienen kan; gestalten ich sehr begierig bin, Ihnen meine Ergebenheit in der That kund zu machen, und vor Dero vielfältige Bemühungen einen Abtrag zu tuhn. Weil ich mich ohngefehr erinnert, daß Hl Wagner bey seiner Anwesenheit[26] alllhier gesaget, wie man in Berlin die Nürnberger Pfeffer-Kuchen, oder nach der hiesigen extraordinaire schönen Mund-Art zu reden, die Lebküchlein, vor was besonders halte; zu dem Ende er auch etliche dutzend mit hineingenommen: so habe ich mich der freyheit unterfangen, an Ew. HochEdl. hier einige Stücke von der besten Gattung und dem besten Meister zur Probe beyzulegen, um zu hören, ob sie nach Dero Gousto seyen, damit ich künftig mit mehrern aufwarten darf. Ew. HochEdl. geruhen es vor keine menage anzusehen, daß ich so kleine Exemplaria erwählet: ich habe vielmehr auf die Güte Reflexion gemacht, dergleichen die Großen nicht besitzen, und womit sich nur die gemeinen Leute zu behalten pflegen, weil sie im Preiße näher zu haben seyn. Ich bitte aber sehr um Verzeyhung, daß

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Ihnen mit solchen Geringfügigkeiten beschwerlich falle, wozu Sie auf allen fall schon Liebhabern finden werden, wenn Sie die Zähne nicht damit verderben mögen. Wißte ich in Nürnberg etwas beßers, so wolte ich auch damit dienen: so aber muß ich noch zur Zeit meinen guten Willen, nur in Kleinigkeiten eröfnen, biß ich zu was Vollständigeres den Vortheil erlange. Ew. HochEdl. Gedult nicht länger zu mißbrauchen, will ich einmal schließen und Ihnen Zeit wünschen, daß Sie mich bald mit einigen Zeilen erfreuen können. Da Ihnen ich inzwischen alles beglückte Wolergehen von dem Höchsten anwünsche, und mit Dero Erlaubniß mich unabläßig nenne

Ew: HochEdlen

  Nürnberg.
d 8. Febr. 1721.

ganzt ergebenster und  
verbundenster diener

   P.S.
Weil der hiesige Kauffmann, Herr Walter,[27]
eben nach Berlin gereißet, so habe das
Geld durch ihn übersenden wollen; und wer=
den Sie nicht übel deuten, daß ich solches
wieder Dero orde getahn habe, zumal
wenn Ihnen kein Nachtheil daraus zu=
wächst.

Johann Leonhard Rost.


Fußnoten

  1. Maria Margaretha Kirch, geborene Winckelmann (1670-1720) war am 29. Dezember 1720 in Berlin gestorben.
  2. occasione ☌ ♃ ♂: anlässlich der Konjunktion von Jupiter und Mars [am 30. Dezember 1720].
  3. um das Ende des vergangenen Jahres und den Anfang des jetztigen.
  4. Ab dem 7. Versuch der Breslauischen Sammlungen (= Kanolds Sammlung von Natur- und Medicin-Geschichten) wurde Rosts Diarium Meteorologicum regelmäßig abgedruckt. Sein Bericht zum Oktober 1720 findet sich hier, der zum Januar 1721 hier. Die von Rost angeführten Stellen finden sich darin nicht, doch siehe die folgenden Fußnoten.
  5. Eine kurze Notiz dazu steht in den Breslausichen Sammlungen, Versuch 14, erschienen 1722, S. 450.
  6. von dem Asellis Bootis biß ad penultimam caudae Ursae majoris (ζ): von den Eselchen des Bootes bis zum vorletzten Stern im Schwanz des großen Bären (ζ UMa: Mizar). Am Nordrand von Bootes, nahe der Deichsel des Großen Wagens finden sich drei mit Assellus (Eselchen) bezeichnete Sterne.
  7. Vgl. den Bericht in den Breslauischen Sammlungen, Versuch 15, erschienen 1722, S. 53.
  8. Cassini, Giovanni Domenico: Les hypotheses et les tables des satellites du Jupiter, reformees sur de nouvelles observations. Paris 1693.
  9. Zumbach von Koesfeld, Lothar: Jovilabium, id est instrumentum astronomicum quo, in systemate joviali positiones Jovis & satellitum ejus inter sese exhibentur. Amsterdam: Valk 1716.
  10. James Pound (1669-1724) war ein englischer Geistlicher und Astronom. Seine neuen Tabellen finden sich in den Philosophical Transactions 30 (1717), S. 1021-1034
  11. Joseph-Nicolas Delisle (1688-1768) war ein französischer Astronom und Kartograph, der mit vielen Nürnberger Astronomen in Kontakt stand.
  12. Eustachio Manfredi (1674-1739) war Astronom in Bologna, der auch Ephemeriden veröffentlichte.
  13. Johannes Gaupp (1667-1738) war Pfarrer in Lindau, der auch als Astronom bekannt wurde. Er war einer der wichtigsten Briefpartner von Rost. Damals war er 54 Jahre alt und überlebte Rost um mehr als zehn Jahre. Ephemeriden von Gaupp kamen nach 1720 keine mehr heraus.
  14. ortum et occasum planetarum: Auf- und Untergang der Planeten.
  15. Crüger, Peter (1580-1639): Doctrina astronomiae sphaerica praeceptis methodicis et perspicuis per globum, tabulas, trigonometriam tam veterem quam logarithmicam explicata ac demonstrata. Danzig: Huenefeldt 1635.
  16. tempus durationis apperationis planetarum: Die zeitliche Dauer der Sichtbarkeit der Planeten.
  17. Profunditas Solis: Die Sonnentiefe, d.h. um wieviel Grad die Sonne unter dem Horizont steht. Vgl. Rost: Atlas portatilis. Nürnberg: Weigel 1723, S. 91.
  18. ni fallor ex angulo quem facit, Verticalis cum aequatore: die, wenn ich mich nicht irre, aus dem Winkel folgt, den die Vertikale mit dem Äquator bildet.
  19. non ex ignoratia sed ob defectum judicii et memoriae: nicht aus Unwissenheit, sondern wegen Abnahme der Urteilskraft und des Gedächtnisses.
  20. Wie in den Briefen vom 1. Oktober 1718 und vom 21. Dezember 1718 behauptet Rost keinen Lehrmeister in der Astronomie gehabt zu haben. Dabei gilt er als der letzte Assistent von Eimmart auf dessen Sternwarte.
  21. donum proponendi: die Gabe der Redekunst, hier gemeint: die Gabe der Klarheit.
  22. calculo ortus et occasus planetarum: Berechnung des Auf- und Untergangs der Planeten.
  23. Kirch, Christfried: Teutsche Ephemeris auf das Jahr 1714-1716. Worinnen nicht nur der Lauff der Planeten in Länge und Breite, sondern auch derselben sichtbarer Auf- und Untergang ... und andere nützliche astronomische Rechnungen zu finden. Nürnberg: Endter 1714.
  24. Am 31. Dezember 1720 bedeckte der Mond die Venus.
  25. Vgl. bezüglich der Stahlschen Pillen das PS im letzten Brief vom 17. Oktober 1720. Die Krebssteine bzw. Krebsaugen bilden sich im Magen von Krebsen und werden bei der Häutung ausgeworfen. Sie bestehen hauptsächlich aus saurem Kalk und wurden gegen Sodbrennen eingesetzt.
  26. Rost erwähnte die Anwesenheit Wagners in Nürnberg im Brief vom 24. Dezember 1719.
  27. In Frage kommen die Handelsmänner Joachim Ernst Walther (?-1733) oder Johann Jacob Walther (?-1736). Vgl. Roth, Johann Ferndinand: Das Verzeichnis aller Genannten des Größeren Rats zu Nürnberg. Herausgegeben und kommentiert von Peter Fleischmann und Manfred H. Grieb, 1802/2002, S. 156f.