Widmung von Georg Hartmann an Johannes Tscherte 1542


Georg Hartmann grüßt den edlen und vornehmen Herrn Hans Tscherte, den Architekten des durchlauchtigsten römischen Königs.

Sobald nach der Lehre des Aristoteles hinsichtlich der Würde und Vortrefflichkeit der Künste und Wissenschaften ein Kennzeichen gewählt wird, neuerdings nach deren Gegenstand und Methode, wird die Wissenschaft, die die optische oder perspektivische genannt wird, mit Recht den ersten Platz unter den übrigen freien Wissenschaften behaupten. Diese nämlich vollendet durch physikalische und mathematische Beweise – nichts kann gewisser sein als diese – völlig vollkommen die begonnenen Diskussionen der Philosophen über die Natur und Eigenart des Lichts und die Möglichkeit des Sehens, in welcher Angelegenheit es in diesem ganzen Weltall und den natürlichen Dingen nichts bewunderungswürdigeres und nichts vollkommeneres gibt. Warum aber soll sich in unserem Jahrhundert, das sich sonst in allen freien Künsten so überaus auszeichnet, diese in so wichtigen Dingen überaus süße Wissenschaft so sehr in der Dunkelheit verstecken, dass sie nicht einmal in zahlreichen Schulen gehört wird? Darüber pflege ich mich oft zu wundern. Aber ich sehe, dass der allzu frühe Tod des hochberühmten Johannes aus Königsberg es verhinderte, dass sie sich bisher ihrem Versteck entziehen konnte. Dieser wollte nämlich die Bücher des Ptolemäus über die Optik herausgeben, die – wie dieser Mann sich auch in allen anderen Dingen ausgezeichnet hat – so ohne Zweifel einfach vollendet sind. Und ich weiß nicht, durch welches Schicksal sie in den hinterlassenen Aufzeichnungen des Regiomontanus nirgends erscheinen.

Diese ganze Wissenschaft hat Ptolemäus in fünf Büchern behandelt. Im ersten Buch hat er die Eigenheiten des Lichts und des Sehens behandelt: er zeigt auf, wie sie sich in ihren Eigenschaften und Bewegungen ähneln und sich unterscheiden und er schrieb jedem einzelnen ihre Eigenheiten mit ihren Unterschieden und Ähnlichkeiten zu.

Im zweiten Buch lehrt er, welches sichtbare Dinge sind, wie das Aussehen eines jeden beschaffen ist, wie jedes einzelne sichtbar erscheint und auf wie viele Arten die sichtbaren Dinge tatsächlich durch die Sehkraft erfasst werden können.

Das dritte Buch handelt von den Dingen, die durch Widerspiegelung in glatten und konvexen Spiegeln erscheinen.

Das vierte Buch handelt von den Dingen, die in konkaven, zusammengesetzten – entweder durch zwei oder noch mehr – Spiegeln erscheinen.

Das fünfte Buch handelt von den Dingen, die durch Brechung erscheinen.

Wir kennen den Inhalt dieses so bedeutenden Werkes, auch existiert bei uns ein Bruchstück davon, das wir wegen seiner Entstellungen, obwohl wir es als einziges Exemplar haben, trotzdem nicht zu veröffentlichen wagten.

Obwohl wir also in dieser Hinsicht der gebildeten Gemeinde nicht wie gewünscht helfen können, glaubte ich, dass die allgemeine Perspektive, die uns als Jungen vorgelegt wurde, jetzt verbessert und in ihrem Glanz wieder hergestellt, veröffentlicht werden solle. Als deren Verfasser wird Johannes Pisanus genannt, einst Bischof von Canterbury. Es ist klar, dass er ein gelehrter und gewissenhafter Mann war. Denn es ist nicht Sache eines x-beliebigen Mannes, eine Einführung zu irgend einer Wissenschaft zu verfassen, sondern eines erfahrenen und gebildeten Mannes, der auf das Allerbeste die Wissenschaft, zu der er sich äußert, kennt, ebenso eines Mannes von scharfer Urteilskraft, der sieht, was an der Wissenschaft besonders ist und wie ihre Liebhaber gewissermaßen mit der Hand zu höheren Erkenntnissen geführt werden müssen. Also musste diese Büchlein, auch wenn es unzählige Schwächen hat, wie die erkennen, die sich mit der Erklärung des Aristoteles und mit Physik beschäftigen, trotzdem gerade um der Forschung willen veröffentlicht werden. Viele, die als Kenner der Philosophie erscheinen wollen, raten den Ihren von der Mathematik wie von Wissenschaften, die für die Philosophie nutzlos sind, ab. Aber sie tun dies, so dass sie in ihrem Geiste Wissenschaften außer acht gelassen zu haben scheinen, die sie entweder als Jungen nicht gelernt haben oder die sie wegen der Schwäche ihres Geistes nicht begreifen können. Aber wir werden mit Gottes Hilfe durch dieses Büchlein und andere, die wir in Händen haben, den Anhängern solcher Kenner die Augen öffnen. Und ich zweifle nicht daran, dass dieses Büchlein edle Begabungen zur Beschäftigung mit der Mathematik anregen wird, weil sie den praktisch unbegrenzten Nutzen dieser Wissenschaften erkennen. Die aber von denen, über die ich gesprochen habe, lieber ihrem Vorurteil folgen wollen, denen soll es von uns aus erlaubt sein, so dass sie mit Polyphem niemals das Licht genießen. Ich habe also aus vielen Gründen geglaubt, dass dieses Buch, Du überaus gelehrter Johannes, mit Deinem Namen versehen werden musste. Erstens, um in diesem gelehrten Büchlein, das an sehr viele gehen wird, unsere Freundschaft, die wir schon lange zuvor geschlossen haben, zu bekräftigen. Zweitens, damit du selbst, der Du in diesen Wissenschaften der erfahrenste bist, die Schirmherrschaft über unsere Arbeit, bei diesem Werk einer gewaltigen, und über alle diese Wissenschaften übernimmst und damit Du uns unterstützt bei der Erforschung der Perspektive des Ptolemäus und des Alhazen. Ich bin der Überzeugung, dass auch Du durch mein Beispiel angetrieben werden müsstest, mit uns alle Deine Erkenntnisse aus dieser Wissenschaft, die schriftlich mitzuteilen Du lehrst, zu kommunizieren. Einst stritten die Maler Parrhasius und Zeuxis so untereinander, dass der Gegenstand nicht gemalt, sondern real zu sein schien. In unserem Jahrhundert ist man allerdings von diesem Mangel befreit. Aber das einfache Volk malt seine Dinge so, dass sie auch ohne sorgfältige Betrachtung als Gemaltes erkennbar sind, trotzdem aber wollen sie so den Eindruck erwecken, die Perspektive nur an dem Nutzen zu beurteilen. Ich bete dafür, dass Du uns diesen Mangel ausbesserst. Ich werde Dir auch in Kürze zum besseren Verständnis unser Werk über die Schatten schicken, welche Herkulische Aufgabe ich, auf Deine Autorität gestützt, auf mich genommen habe. Deshalb wirst gerade Du in dieser Hinsicht die Gemeinde durch die Veröffentlichung der Bücher des Stiborius über die Schatten unterstützen. Lass es Dir gut gehen.

Nürnberg, 4. September im Jahre des Herrn 1542.

 


Wir haben Reinhard Laudi für umfangreiche Hilfe bei der Übersetzung aus dem Lateinischen zu danken.