Briefwechsel Johann Philipp von Wurzelbau


Kurzinformation zum Brief  
Autor Wurzelbau, Johann Philipp (1651-1725)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 11. August 1717
Signatur UB Basel: L Ia 730: Bl. 18r-v
Transkription Hans Gaab, Fürth

 Monsieur

Dero sehr werthe von 13 Octobr: vorigen und 21 Aprilis dieses Jahres sind beede zu recht eingegangen,[1] deren beantwortung aber durch noch nicht cessirene[2] meine indispostion bishero verhindert worden; sage indessen vor so viele schöne communicata schuldigen Danck, wünschte daß solche einiger massen erwiedern könnte: so war aber von der am 27ten: Martii erwarteten Mondfinsternus,[3] wegen gäntzlich verdeckten Himmels nichts als die sonsten plenilunii tempore ungewöhnliche dunckelheit zu bemercken.   Die seit einigen Jahren allzu große frequentia macularum solarium machet, daß selbige fast als eine ordinaire sache, aus welchen und deren irregulariteten der Astronomie, über vorhin darvon bekandtes forthin wenig nuzen mehr zu erholen, anzusehen sind.

Von einem um 10ten. April abermahlen observirten Nordschein, oder, wie ihn der Wittenbergische Observator benennet, aurora borea habe ich nicht vernommen, daß hiesigen Orts etwas gesehen worden seye, es wär zu wünschen, daß man aus denen nördlichen Ländern, Irland, Grönland, oder da näher gegen den Pole sich einwohner fänden mehrere nachricht haben könnte. Es muß unsre Erde circa polos eine, uns noch sehr unbekandte beschaffenheit haben; dann es auch gegen den Antarcticum zu an solchen apparationibus nicht ermangelt, da die alte erforschere der neuen über das fretum Magella-

[Bl. 18v]
nicum[4] hin liegende länder dadurch weiter fortzudringen sich haben abschrecken lassen und die eußerst entlegenen länder daselbsten Terra del fuego[5] von selbigen feurigen Luftgegenden benennet haben: Von nordlichen Crepusculi meldet sonsten Herr Cassini[6] folgendes: l'Auteur de la relation du Groenland[7] citè par M. Gassendi au tome 2. page 100[8] parle à la page 99 l'une lumiere remarquable que l'on y voit du costé du Septentrion pendant les nuits d'estè en ces termes: L'estè du Groenland est toûjours beaujour et nuit si l'on doit appeller nuit ce Crepuscula perpetuel qui y occupe en est tout l'espace de la nuit. Comme les jours y sont tres courts en Hyer, les nuits en recompense y font tres - longues et la nature y produit une merveille que je n'oserais vous é crire, si la Chronique Islandoise ne l'avoir écrite comme une miracle.[9] Il se leve au Groenland une lumiere avec le nuit, lors que la lune est nouvelle ou sur le point de la devenir, qui éclaire tout le pais, comme si la lune estoit en plein; et plus la nuit est obscure, plus cette lumiere luit. Elle fait son cours du costè du Nord, à cause de quo y elle est appelleè lumiere Septentrionale: elle a le regard d'un feu volant, et s'etend en l'air comme une haute et longue palissade. Elle passe d'un lieu à l'autre et laisse de la fumée aux lieux que'elle quitte:[10] elle dure toute la nuit, et s'evanouit au soleil levant.[11] Cet Auteur ajoute que cette lumiere Septentrionale se voit clairement en Islande et en Norvege, lors que le ciel est serain, et que la nuit n'est troublée d'aucun nuage; qu'elle n'eclaire pas seulement les peuples de ce monde arctique, mais qu'elle s'étend jusque à nos climate; et il croit que cette lumiere est la mesme[12] qui a eté observée par M. Gassendi le 13 Septembre 1621 et décrite dans le vie de M. de Peirese[13] et aille des appellé l' Aurore Boreale.[14]

Ob dieses nordische Winterlicht, wie auch der Crepusculum boreum, so der seel. Herr Hevelius A. 1660. 7 Maji observirt[15] von gleicher art als die neulichen seyn können Mhhsee als αντοπληs zu dijudiciren wissen. Ich verharre nebst Göttlicher Gnadenergebung und Ehrendienstl. Zugegruß an die Frau Mutter

Meines HochgeEhrtesten Herrn
Nürnberg 11 Augusti. 1717.

Dienstergebener  
Joh. Philipp von Wurzelbau

PS
Daß auch dergleichen feuerzeichen vor vielen Jahren in Polen u. angrenzenden Orten sich öffters sehen lassen, ist aus des Herrn Valerii Herbergerus Predigers zu Fraustadt (welcher A: 1627 gestorben) Epistolischen Herz Postill pag: 474 aus folgenden Worten genugsam abzunehmen: dencket hieran, wenn die wunderseltsamen feuerstrahlen, die nun schon viel Jahr von Mitternacht herauf geschossen, so über uns fechten, und davon laufen.[16]


Fussnoten

  1. Die beiden Briefe von Grammaticus sind nicht überliefert.
  2. noch nicht cessirene: noch nicht abgeklungene.
  3. Am Samstag, den 27. März 1717 gab es eine partielle Mondfinsternis.
  4. fretum (lat.): Meerenge. Hier ist also die Magellanstraße gemeint.
  5. Terra del fuego: Feuerland. Vgl. hierzu auch den Brief von Rost an Christfried Kirch vom 14. August 1717.
  6. Giovanni Domenico Cassini (1625-1712) war der Direktor der Pariser Sternwarte gewesen.
  7. La Peyrère, Isaac de (1596-1676): Relation Du Groenland. Paris: Courbe 1647.
  8. Gassendi, Pierre (1592-1655): Opera omnia. Tomus 2. Leiden: Anisson & Devenet 1658.
  9. Hier wurde ein Halbsatz von La Peyrère weggelassen.
  10. Hier wurde ein Satz von La Peyrère weggelassen.
  11. Hier wurde der Originaltext gekürzt.
  12. Ab hier wird nicht mehr wörtlich zitiert, sonder nur noch der folgende Text kurz zusammengefasst.
  13. Vgl. Gassendi, Pierre: Viri Illustris Nicolai Fabricii Claudii de Peiresc, Senatoris Aquisextiensis vita. Den Haag: Adrian Vlacq 1655, S. 144.
  14. In deutscher Übersetzung:
    Der Autor des Berichts über Grönland, der von Herrn Gassendi im zweiten Band, S. 100 zitiert wird, spricht auf S. 99 von einer bemerkenswerten Leuchterscheinung, die man dort in den Sommernächten an den nördlichen Küsten sieht, in den folgenden Worten: Der Osten Grönlands ist immer schön und es ist Nacht, wenn wir diese ewige Dämmerung, die den ganzen Raum der Nacht einnimmt, Nacht nennen dürfen. Da die Tage im hohen Norden sehr kurz sind, die Nächte dagegen besonders lang, bringt die Natur ein Wunder hervor, über das ich nicht schreiben könnte, wenn nicht die Isländischen Chroniken über dieses Wunder berichteten. Besonders dann wenn der Mond neu oder stark im Abnehmen begriffen ist, sieht man nachts in Grönland ein Licht, das das ganze Land erleuchtet, als ob Vollmond wäre. Und je dunkler die Nacht ist, desto mehr leuchtet dieses Licht. Es nimmt seinen Weg entlang der Nordküste, weswegen es Nordlicht genannt wird. Es hat das Aussehen eines fliegenden Feuers und hängt wie ein großer und langer Pfahl in der Luft. Es geht von einem zum andern Ort und hinterlässt Rauch. Es dauert die ganze Nacht und verschwindet mit der aufgehenden Sonne. Dieser Autor fügt hinzu, dass diese Erscheinung deutlich in Island und Norwegen gesehen wird, wenn der Himmel heiter ist und die Nacht von keiner Wolke beeinträchtigt wird. Es erleuchet nicht nur die Völker der arktischen Welt, sondern erstreckt sich auch bis auf unser Klima. Der Autor glaubt, dass dieses Licht das gleiche ist, das von Gassendi am 13. September 1621 beobachtet wurde und das im Leben von Peiresc beschreiben wird und den Namen Aurora Boreale trägt.
  15. Vgl. Hevelius, Johannes: Machinae Coelestis, par 2, S. 225.
  16. Herberger, Valerius (1562-1627): Epistolische Hertz-Postilla. Leipzig: Gleditsch 1693, S. 474.