Briefwechsel Johann Philipp von Wurzelbau
Kurzinformation zum Brief | |
Autor | Wurzelbau, Johann Philipp (1651-1725) |
Empfänger | Kirch, Maria Margaretha (1670-1720) |
Ort | Nürnberg |
Datum | 10. Juni 1713 |
Signatur | UB Basel: L Ia 730: Bl. 11r-12v |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
WolEdle VielEhren tugendreiche Frau,
HochgeEhrte Frau Kirchin
In Erinnerung der liebwerthen Correspondenz deren ich mit dero seel. Eheherrn vergl. Herrn Gottfried Kirchen[1] viele Jahre zu genießen die Ehre gehabt; ersehe mit freuden wie Sie durch Gottes sonderbare Schickung dero lieben Herrn Sohn[2] bey alhiesigem Herrn Lorenz Schmidlein[3], welcher mit dem reichlich eintragenden Prauhandel versehen, auch (meines wissens) ohne Kinder ist, sehr wohl angebracht, auch als ein curieuser Liebhaber der Astrologiae, selbigen wohl zu verbergen hoffentlich nicht ermangeln wird. Die alhiesige da und dort legirte Stipendia sind so rar zu erhalten, daß solche auf viel Jahr hinaus für mehrfältige expectanten albereit verstellet sind, auch zu meines eigenen Sohnes Studiren dergleichen zu erlangen mir keine Hoffnung machen könnte.[4] Meine Observationes Astronomicas
[Bl. 11v]
beginnen bey hereinbrechendem Alter und anbey ereignenden Schwachheiten,
auch anderen widerwärtigkeiten merklich abzunehmen,
als daß über die bey hellem wetter
observierende mitägige altitudines solares und etwan
vorfallender eclipses, ein mehrers von mir schwerlich
zu gewarten.[5] In der Sonne hatte ich bisher 29.
Octobr: 1710, unerachtet ich nicht leichtlich einen
heiteren Tag angesezet, keine maculen antreffen
können, am verschiednen 18 Maji aber frühe
umb VII uhr, etwan ⅓ dig: vom ostlichen Rande
eine starcke mit einem hellen Wall umgebenen
erblicket, den 29: cujusd: war Regenwetter, den
20: aber, nachdeme umb IX. uhr 35 min: die Wolcken
sich zertheilet, war sie schon auf 1½ dig eingerückt
annoch 3 kleinerer, 2 dunckele und unterher eine
verbleichte, alle in einer etwas hellen Einfassung
nach sich ziehende, welche aber folgenden 21. merklich
verändert erschienen, den 22: war abermahl
trüb wetter und ich den 23: abwesend, den 24: aber
befande ich dir große maculam albereits 2 dig:
ultra centrum Solis, und dermassen angewachsten,
daß ich mich kaum jemahlen einer größeren und
duncklere gesehen zu haben erinnere, die kleineren
[Bl. 12r]
aber waren verschwunden, den 25:ten umb III
Uhr 45 min. erschienen die große zweygetheilet
mit dunkelm Wall umgeben etwan
2½ digg: vom westlichen Rand der Sonnen,
den 26:ten muste ich abermahlen abwesend
seyn, den 27:ten fande ich umb VII uhr 25 min:
p. m. die Maculn sehr abgenommen und kaum
mehr kenntlich unerachtet sie noch 1 dig fast vom
westlichen Rand abstunden, 28 und 29 Maji
waren abermahlen trüb und regenerisch, und
den 30:ten zwischen dem vom Winde getriebenen
Gewöcke, in der etlichmahl erscheinenden Sonne
weiter nichts anzutreffen[6]
Venus mit ihren Sichelförmigen Phasibus wie auch Saturnus mit seinen antis u. Mars lassen sich nun beede umb den gestirnten Löwen alle Abend bey heiterem Wetter per tubos mit Lust beschauen. Den Überrest der im Aufgang zu observirenden vorgestrigen Mondsfinternus haben uns alhier die schweren Wetterwolcken, wormit der ganze Himmel damahlen, nicht ohne Donner und Blitzen über=
[Bl. 12v]
zogen gewarten, zu betrachten nicht zugelassen,[7] deren
Beschreibung ich sonsten hierbey fügen, wie nahe
selbige mit dero schöner Kalender Arbeit zugetroffen
hette berichten wollen: wünsche von herzen
daß der Allerhöchste solche zu verrichten HochgeEhrter
Frauen und der lieben Ihrigen ersprießlichen
wohlergehen ferner reichlich segnen wolle.
Verharre nebst Göttl. Gnaden Ergebung
Meiner HochgeEhrtesten Frauen
Das praedicat Wohlgebohren
wird hiesiger Landen frey=
herrl. Standspersonen gegeben
dahero solches gegen mich
zu unterlassen bitte.[8]
Nürnberg
den 10:ten Junii
1713.
Ihnen dienstergebener
Joh. Philipp von Wurzelbau
Fussnoten
- ↑ Gottfried Kirch (1639-1710), der Ehemann der Maria Margaretha Kirch,
war um 1700 der bekannteste deutsche Astronom gewesen. Sein Briefwechsel mit Wurzelbau ist abgedruckt in:
Herbst, Klaus-Dieter: Die Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch (1639-1710). 3 Bände. Jena: IKS Garamond 2006. - ↑ Christfried Kirch (1694-1740) hielt sich 1713/14 in Nürnberg auf.
- ↑ Lorenz Schmidlein (?-1719) wurde 1691 in den
größeren Rat der Stadt Nürnberg aufgenommen, wozu Roth in einer Fußnote anmerkte:
"Lorenz Schmidlein [?-1719] wurde vom Kaiser geadelt,
weil er ehedessen in Ungarn gute Dienste gethan."
Vgl. Roth, Johann Ferdinand: Das Verzeichnis aller Genannten des Größeren Rats zu Nürnberg. Nürnberg: Johann Georg Milbradt 1801. Unveränderter Nachdruck, herausgegeben und kommentiert von Peter Fleischmann und Manfred H. Grieb. Neustadt an der Aisch: Verlag für Kunstreproduktionen 2002, S. 144 - ↑ Zu den Nürnberger Stipendientstiftungen siehe:
Ebneth, Bernhard: Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine historische Studie zum Funktionszusammenhang der Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Großstadt (15.-20. Jahrhundert). Nürnberg: Schriftenreihe des Stadtarchivs 1994. - ↑ Johann Leonhard Rost beklagt sich im Brief vom 21. September 1722 an Kirch, dass sich Wurzelbau nur noch "um die altitudines Solis meridianas, um die Maculas Solis und um die Eclipses luminarium bekümmert". Der hier von Wurzelbau selbst beklagte Zustand hielt bis zu seinem Tod 1725 an.
- ↑ Auch in den folgenden Briefen an Christfried Kirch spielen Sonnenflecken eine große Rolle, vgl. insbesondere den Brief vom 21. November 1715.
- ↑ Am 8. Juni 1713 gab es eine partielle Mondfinsternis.
- ↑ Zu den gebrächlichsten Anreden vgl.:
Rost, Johann Leonhard: Die Leichteste Art teutsche Briefe zu schreiben durch Regeln und Exempel überaus deutlich und gründlich verfasset. Nürnberg: Albrecht 1717,
darin das 7. Kapitel: Von der Titulatur, S. 64-77.