Briefwechsel Peter Kolb
Kurzinformation zum Brief | Zum Original |
Autor | Kolb, Peter (1675-1726) |
Empfänger | Daumius (Doktor)[1] |
Ort | Kap der guten Hoffnung |
Datum | Vermutlich Ende 1705 |
Signatur | Universität Tartu: Epistolae autographae CC Philosophorum cel. II. F 3,Mrg CCCLIVa [Briefkonzept] |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
A Monsieur, Monsieur
Daumius, Docteur en Medicin, mon tres-honoré Ami[2]
Meinem, beÿ unserm Abschied, gethanen Versprechen, mit beiÿseit sezung weitläufftiger Complimenten, ein genügen zu leisten, habe ich mit diesen Schiffen, weil eher nicht gekonnt, nachkommen, u. von denen in unterschiedlichen Climatibus, auch unterschiedlichen kranckheiten, eine kurze nachricht einsenden wollen: nicht zweiflende, Sie werden, wo ich nicht Medicinisch rede, solchen fehler excusiren, und meiner in dem Studio Medico bekanden unwissendheit zurechnen, damit ich aber ordentlich gehe, u. gleichsam ein Medicinisches Journal ausliefere, so will ich erstlich, was an mir selber empfunden, erzehlen, hernachmahls aber generaliter von allen handeln. Von mir nun selber anzufangen, so beliebe mein freund zu wißen, daß ich um Schottland v. Irrland herum die größeste kranckheit ausgestanden, dergleichen Zeit meines Lebens nicht erlitten. Dann weil ich des waßers nicht gewohnet war, so kame mich erstlich ein wunderlicher Zufall an, daß ich gleichsam schwindelend einher gieng, v. immerzu, als ob ich fallen müste, mich neigete. Nun hielte ich dieses vor die rechte See-Kranckheit, welcher die meisten Menschen unterworfen seÿn: alleine als ich hörte v. mich erinnerte, daß auch ein folgends brechen sich einfinden würde, habe ich solche zeit mit schmerzen erwartet, der Hoffnung lebende, es würde so dann leichtlich keine noth haben. Zwar stellete sich bald hernach ein großer Eckel vor denen Speisen ein, welchen ich vor den ersten Vorbothen hielte; jedoch weil kein erbrechen folgen wolte, so wurde mir der Kopff so schwer, alle Gliedmaßen so matt v. schwach, daß ich endlich nothwendig das bette suchen muste; in welchen ich auch ganzer 4. wochen, so lange als wir um Norwegen, Schott- v. Irrland herum gesegelt, beständig gelegen, ohne doch, daß weder etwas eßen, noch auch aufstehen konnte, da doch das Erbrechen alle Zeit wohl einginge. Schlaffen kunte ich noch ziemlich beÿ dem Anfang, zu lezt aber blieb auch dieser Gast aus; der alvus[3] war sehr verstopfft, daß ich offtmahls in 2. à 3. Tagen nicht den natürlichen Abgang hatte; v. soll ich noch dazu, wie mir nachgehends ist erzehlet worden, greulich fabuliret haben Selbst da ich wieder das bette quitiret, kunte ich lange Zeit nicht gehen, meistens zwar wegen des starcken Schlingerns unsres Schiffes, jedoch war auch die mattigkeit der Glieder, welche aus dem abgefallenen fleisch v. starcken ausgehen des Haars augenscheinlich blickte, mit Schuld daran. Die Ursach solcher ganzen kranckheit düncket mich theils von dem ausgebliebenen Erbrechen, theils von der starcken v. abscheulichen Kälte, die man sub Latitudine 60 graduum et ultra zu empfinden v. aus zu stehen hat, her zu stammen. Denn wär der Magen durch das Erbrechen gereiniget, v. die Pori von der großen kälte, zumahl, beÿ dieser Jahres Zeit des Winters nicht verstopffet worden, so würden sonder Zweifel die übrigen Symptomata außen geblieben, u. die ganze kranckheit, wo nicht gänzlich verhütet, wenigstens doch gemildert worden seÿn. Eben dergleichen Zufall ist noch einen begegnet, welcher, weil er schon einen kranken leib mit zu Schiff gebracht, auch endlich daran crepiren müßen. Andre die dergleichen kranckheit durch starckes bewegen, v. stetiges Arbeiten entgangen, haben hingegen, da sie der zonae torridae[4] näher gekommen, hizige fieber dafür ausstehen müßen. Wie ich den selbsten sub Elevatione Poli borealis 20 grad. circiter[5] einen Anstoß wahrgenommen von dem kalten fieber, der aber durch Gebrauch eines Purgantis v. Sudoriferi[6] Gott lob! bald ist gehoben worden. Hierbeÿ muß ich meinem freunde nothwendig erzehlen, daß meine Medicamenta, welche derselbe in Amsterdam gesehen, v. gut gepriesen, mir nicht vor einen Deut genüget; denn obgleich beÿ diesen Anfall des Fiebers alsobald ein Vomitiv[7] von denen bewusten Pulvern eingenommen, so habe doch den effectum nicht empfunden, welches es billich hätte thun sollen; dahero diesen Schluß davon genommen, daß die Dosis in terra firma[8] auf dem waßer nicht zureichen wolle; worinnen ich zu ander Zeit beÿ abermahligen Gebrauch eines Vomitivs von besagten Pulvern, bin bestätiget worden, und es nach einnehmung eines Pulvers nicht würcken wollen, nach gebrauchung zweÿer hingegen erst den effectum gethan, welchen es zu Land vor einen thut. Zudem, so hat mir unser Ober-Meister mit vielen Exempeln bewiesen, daß er alle Zeit von jedem Medicament mehr nehmen müße zur See, weder Er auf dem Lande vonnöthen hat, daß ich also dadurch bewogen worden, es ferner von meinen Medicamenten zu gebrauchen, weil die Dosis praescripta nicht hat zulangen wollen, ich hingegen aber leichtlich hätte zu viel thun, v. mir dadurch eine schwere Kranckheit auf den hals ziehen können. Ferner aber auf die Kranckheiten v. zwar in genere zu gelangen, so habe ich observiret, daß in parte zonae torridae boreali meistens hizige fieber im Schwang gegangen, vielleicht weil daselbst die hize penetranter auf die Kälte gewesen, als sie in parte australi eius von uns ist verspühret worden denn noch in parte boreali ist uns die Sonne vertical gewesen doch haben wir dadurch Gottlob! nicht einen einigen menschen verlohren. Die Medicamenta, so viel erfahren habe können, so dawider angewandt worden, sind meistentheils, nach genommenen sudoriferis, gewesen Elexier Proprietatis Paracelsi, Tinctura Antimonii, sal volatile oleosum.[9] In eben diesem parte boreali Zonae torridae, sub Elevatione Poli 14o 40‘ habe noch eine Artige observation gehabt: denn nachdem wir unter besagter Elevatione Poli borealis in dem Portu de Braya der Capo-Verdischen Insul S. Jago Ancker geworfen, v. unser Schiff wieder mit waßer versehen, hat das Volck, welches das waßer geholet, biß unter den Hals in die See baden müßen, damit es daßselbe in den Pot hat bringen können, weil wir nicht biß an das ufer anfahren kunten. Allen diesen nun, so in der See gestanden haben, sind bald hernach, ob sie gleich nichts an Ihrem ganzen leibe unreines gehabt, die beine geschwollen, nach vertreibung derselben aber sind ihnen die beine uff dem schienbein uffgebrochen, v. beÿ vielen 3. biß 4. auch wohl mehr Löcher entstanden deren Schmerzen das Volck unträglich gehalten. Die Ursach dieses Zufalls düncket mich, müße von dem scharfen Sand, der sich, nebst dem Salzwaßer, in die, durch die starcke hize weit eröffnete Poros gesezet, geholet werden. In Zonae torridae parte australi grassireten meistens kalte fieber, die aber meines
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Erachtens, von nichts als von dem waßer ihren Ursprung genommen. Denn weil wegen starcker hize, das in allerhand,
speck-fleische brandwein- v. bierfäßern verwahrete waßer nicht nur starck gestuncken,
sondern noch dazu würmer, die in denselben gewachsen, gehabt, so hat die natur nicht nur davor einen abscheu getragen,
sondern es hat auch solche unreinigk. auf einige weiße wiederum müßen expelliret werden. Wegen
Schaarbuÿcks[10]
haben wir Gottlob, wenig zu klagen gehabt, theils weil wir noch immerzu einige Verfrischungen kauffen,
theils auch weil unser waßermacher, sein waßer mit Löffelblätern überholen muste,
welches hernach unter das volck ist proportionate ausgetheilet worden. Die große hize in besagter zona
hat auch den so genannten Roth hund[11]
herausgejaget, welcher nichts anders ist, als daß die ganze haut
des Menschen voll kleiner rother stüplichen wird, die erbärmlich jucken, v. nach dem krazen abscheulich schmerzen.
Sie sizen so dicht aneinander, daß man kaum einen Nadelknopf darzwischen sezen kan. Sie geben auch materie,
dahero wenn sie abtrocknen fast die ganze haut mit weggehet. Ich habe selbsten davon kranck gelegen,
v. düncket er mich nicht wohl mit kräze in Teutschland als vielmehr mit denen
ungarischen Fleckfiebern sehr genau überein zu kommen.
Etliche die Pletorischer[12] natur
gewesen, habe nebst diesen Rothhund noch dazu an unterschiedlichen Orten
blutgeschwäre gehabt, die aber bald wieder nebst dem rothhunde vergangen, weil unser Ober-Meister,
ein sehr erfahrener Mann, der mir alle Zeit treulichen Rath gegeben, v. mit der That hülfreiche Mittel gereichet,
schon damit umzuspringen u. media da wieder zu brauchen wuste, die wegen des Rothhunds in purgantibus,
wegen der blutgeschwäre aber in emplastris[13]
bestunden. Nach zurückgelegter zona torrida,
da wir gleich den 1 May unter dem Tropico ♑ [des Steinbocks] waren, hat sich also bald ein generaler
v. beÿ allen verspürter Casus ereignet, daß wir mit greulichen Kopfweh überfallen worden v.
wäre dieser noch wohl, ob er gleich von keinen, außer denen, die öfters solche Reise gethan,
zeitlebens ärger verspüret worden, zu ertragen gewesen, wo nicht die Nachtruhe dadurch
wäre gänzlich unterbrochen und gehemmet worden. Woher aber diese Pein
anders als von der veränderten lufft ihren Ursprung genommen, v. was vor eine Ursache deßen seÿn müße,
ist mir unbekand; ich überlaße es meinem freund zu ersinnen, und lebe der Hoffnung,
daß er mit dieser einfältigen beschreibung vergnüget seyn, und glauben werde,
daß, so ich es beßer zu stylisiren Zeit gehabt, v. Medice hätte schreiben gelernt,
solches von mir nicht sollte unterblieben seÿn. Von meiner Reise kann dieses mahl nichts beÿfügen,
weil die Schiffe alle stund weggehen wollen; dieses wird interim genug seÿn, daß denen [Lücke]
an den Caap glücklich, Gott sey Lob angekommen. Was wir auch sonsten noch abgeredet, will nach möglichsten fleiß
suchen werckstellig zu machen. Ich schließe vor das mahl, und bitte, aufrichtige freundschafft ferner zu continuiren,
in ansehung dieser aber meine schlechte raisonements von denen Kranckheiten freundlich zu interpretiren,
der ich unter Göttl. Gnaden Empfehlung verharre
Monsieur Votre tres-humble & tres-obeissant Serviteur[14] P.K.
Caap de bonne esperance den
Ao. 1705
Fussnoten
- ↑ "Doctor Daumius" gab vor 1706 an der
"Lutherischen Schule" in Küstrin Unterricht in "Geschichte der Natur".
1707 wird berichtet, dass "ohnlängst nur der curiose Herr Daumius, ietziger wohlbestellter
Stabs-Medicus bey der Königl. Polnischen und Churfl. Sächs. am Rhein stehenden Militz /
erzehlet hat, / daß Anno 1703. die Holländer einen aus Ost-Indien von Ceylon kommenden Edelstein /
Turmalin [...] / zum ersten mahl nach Holland gebracht hätten".
Kolb dürfte den Mediziner 1704 in Amsterdam kennengelernt haben.
Er hat ihm dort vor seiner Abfahrt seine Reiseapotheke gezeigt und und ihm die Übersendung
medizinisch relevanter Berichte von der Überfahrt und vom Kap versprochen.
Wie aus dem Brief Kolbs an Krosigk vom 13.03.1705
hervorgeht, beförderte Daumius auch Briefe an Krosigk nach Wolfenbüttel.
- Johann Christoph Strodtmann: Des Neuen Gelehrten Europa Fünfter Theil. Wolfenbüttel 1754, S. 6
- Anon. [= Schmidt, Johann Georg:] Curiöse Speculationes bey Schlaf=losen Nächten. Chemnitz und Leipzig 1707, S. 269
- ↑ Docteur en Medicin, mon tres-honoré Ami: Doktor der Medizin, mein hochgehrter Freund.
- ↑ alvus: Bauch.
- ↑ zona torrida: heiße Zone, gemeint sind die Tropen.
- ↑ Unter einer nördlichen Polhöhe von etwa 20 Grad.
- ↑ Purgantis v. Sudoriferi: eines reinigenden und schweißtreibenden Mittels.
- ↑ Vomitiv: Brechmittel.
- ↑ terra firma: Festland.
- ↑ Elixiere nach Art des Paracelsus, schwefelige Tinktur, öliges leichtes Salz.
- ↑ Scharbock, Skorbut.
- ↑ Gemeint ist wohl die Röschenflechte (Pityriasis rosea).
- ↑ Plethorisch: Überfluss an Blut.
- ↑ emplastrum: Pflaster.
- ↑ Monsieur Votre tres-humble & tres-obeissant Serviteur: Meines Herrn demütigster und gehorsamster Diener.